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Eine Analyse zu den Gemeinderatswahlen in Grenchen. «Die in Grenchen notorische Politik-Abstinenz hat sicher auch damit zu tun, dass die Politiker sich zu wenig in die Karten blicken lassen», schreibt Redaktor Andreas Toggweiler.
Die Legislatur im Grenchner Gemeinderat neigt sich mit den Gemeinderatswahlen in einer Woche dem Ende zu. Zeit also, für einen Rück- und Ausblick. Die Grenchner Politik hat sich in der jetzt zu Ende gehenden Amtszeit sehr beruhigt und auch versachlicht. Die Zeit der Schlammschlachten scheint vorbei und persönliche Animositäten und Machtkämpfe werden nicht mehr in dem Ausmass an der Öffentlichkeit ausgetragen, wie dies noch vor vier Jahren der Fall war.
Dies hat insbesondere mit dem Ausscheiden von Personen aus der Politik zu tun, aber auch mit dem auf Ausgleich ausgerichteten Wirken des aktuellen Stadtpräsidenten. Er ist – jedenfalls nach aussen - sorgsam darauf bedacht, dass niemand sein Gesicht verliert und alle Argumente Gehör finden. Sofern sie auf den Tisch kommen. Dazu unten mehr.
Doch wo steht die Stadt materiell heute? Es gibt viele Baustellen, nicht nur auf den Strassen. Die wichtigste befindet sich bei den Stadtfinanzen, welche aus dem Gleichgewicht geraten sind. Die Ursachen liegen bei den stark vom Wirtschaftsgang der Firmen abhängigen Steuereinnahmen, doch beeinflusst werden können schwergewichtig die Ausgaben. Hier wurden nach einem – durchaus konstruktiven – politischen Seilziehen auch Massnahmen eingeleitet, die für eine Trendwende sorgen sollen. Die Situation ist nicht so katastrophal, wie bisweilen dargestellt, doch die Stadt lebt von der Substanz und das kann nicht lange so weitergehen.
Diese wichtige Aufgabe wird nach den Sommerferien ein personell erneuerter Gemeinderat weiterführen müssen. Insbesondere im bürgerlichen Lager tritt eine ganze Generation von Personen ab, welche die Grenchner Politik in den letzten Jahren stark geprägt haben. Bereits letztes Jahr zurückgetreten sind Hubert Bläsi (FDP, jetzt Schuldirektor), Heinz Müller (SVP) und Andreas Kummer (CVP). Aldo Bigolin und Renato Müller (beide FDP) treten nicht mehr an, ebenso CVP_Parteiprädident Marco Crivelli. Bei der SP kehrt Vize-Stadtpräsident Urs Wirth der Politik den Rücken.
Am spannendsten ist die Ausgangslage bei der SVP. Wird sich das Klima in der Parteispitze nochmals verschlechtern, wenn Richard Aschberger Ivo von Büren auch in der Gemeinderatswahl noch abtrocknet? Gewählt werden dürften beide. Doch wer darf dann in die GRK? Weiterhin von Büren, der auch schon in der wichtigsten Kommission, der Bapluk sitzt und dem überdies Ambitionen auf Heinz Müllers Verwaltungsratssitz in der SWG nachgesagt werden? Bei allem durchaus guten und pragmatischen Einsatz welchen von Büren in Grenchen (oft auch ausserhalb der formalen Gremien) leistet, würde eine solche Machtballung bei einer Person Kritik hervorrufen. Es wird wohl weiterhin die SVP dafür besorgt sein, dass es nach den Wahlen nicht allzu ruhig wird im Schlafwagen. Die jetzt in den so genannten sozialen Medien vorgetäuschte Harmonie ist jedenfalls pure Parteiräson vor den Wahlen.
Ferner darf man gespannt sein, wie sich die GLP-Vertreterin Nicole Hirt schlägt. Sie wurde von der CVP, welche sich selbstbewusst für den Alleingang ausgesprochen hat, quasi auch zu einem Solchen verdonnert und muss nun ohne Listenverbindung antreten. Diese hatte ihr vor vier Jahren das Restmandat eingebracht. Dasselbe gilt für die BDP, welche diesmal zusammen mit FDP und SVP marschiert.
Was soll Grenchen vom neuen Gemeinderat erwarten? Vor allem eines: mehr Transparenz. Die in Grenchen notorische Politik-Abstinenz hat sicher auch damit zu tun, dass die Politiker sich zu wenig in die Karten blicken lassen. Der Hang, heikle Probleme in die «Dunkelkammer» GRK zu delegieren oder die Öffentlichkeit bei unangenehmen Traktanden sogar ganz auszuschliessen ist noch nicht überwunden, bzw. hält sich hartnäckig und über alle Parteigrenzen weg.
Sie fusst in der irrigen Ansicht, dass Probleme durch Aussitzen am besten gelöst werden können. Es steckt auch eine falsch verstandene Liebe zur Stadt dahinter, wenn man denkt, jede Kontroverse schade deren Image. Solches Denken war im Zeitalter der Schlammschlachten mitunter noch hilfreich. Heute bewirkt es das Gegenteil: Wo der Stimmbürger den Eindruck hat, es würden Informationen zurückgehalten und hinter seinem Rücken entschieden, wächst das Misstrauen - und dies zu Recht.
Es gilt, Politikerinnen und Politiker zu wählen, welche die Verwaltung immer wieder zwingen, Ross und Reiter beim Namen zu nennen, und die nachher auch selber bereit sind, über die relevanten Fragen in einer für den Stimmbürger transparenten Art zu verhandeln. Diese 15 Grenchnerinnen und Grenchner gibt es bestimmt. Wählen wir sie!
andreas.toggweiler@schweizamwochenende.ch