Im Jubiläums-Theaterstück «Z'mitzt am Rand» werden splitterhaft Geschichten rund ums Bachtelen gezeigt und erzählt.
Noch während sich die geladenen Gäste beim offiziellen Festakt im Girardsaal die Reden von Regierungsrat Remo Ankli und Gesamtleiter Charly Diethelm anhören, beginnt draussen der bunte Reigen. Das Timing ist eng, sehr eng sogar.
Einzelne Zuschauer sind mit einem Plan in der Hand unterwegs und suchen die Spielorte dieses einzigartigen Theaterprojekts. Denn heute ist das ganze Bachtelengelände Schauplatz diverser Aufführungen, Vorstellungen und Installationen. Vor dem Eingang zum Girardsaal warten Tänzerinnen darauf, dass ihr Spielort, der Vorraum zum Saal, frei wird und die VIPs zum Apéro ins Kapla-Gebäude umziehen.
Das Jubiläumsstück «Z’mitzt am Rand» überfordert den Zuschauer gewollt. Selbst in den vier Stunden zwischen 18 und 22 Uhr ist es fast unmöglich, alle Stationen zu besuchen, wo bruchstückhaft Geschichten rund ums Bachtelen und dessen Vergangenheit gezeigt, gespielt, gesungen und getanzt werden.
Das Theaterprojekt mit 16 verschiedenen Installationen, Projektionen, Theateraufführungen, Lesungen, Ansprachen, Kino- und Fotoprojektionen, das innerhalb der letzten Jahre entstanden ist, bezeichnen die beiden Verantwortlichen, Philipp Wilhelm als Regisseur und Alexander Muheim als Gesamtleiter, als «Wimmel-Abenteuer». Bei all den Eindrücken beginnt es unweigerlich, im Kopf der Betrachter zu wimmeln.
Die Darsteller, seien es professionelle Theaterschaffende, Laien oder Mitarbeiter des Bachtelen, beeindrucken mit ihren Leistungen und dem Herzblut, mit dem sie bei der Sache sind. Nicht zuletzt die Kinder und Jugendlichen aus dem Bachtelen selber, die bei vielen Szenen zentrale Rollen spielen und alle Leute, die im Hintergrund agieren und für einen reibungslosen Ablauf sorgen, verdienen ein grosses Lob und dicken Applaus.
Es sind starke Bilder, die dem Publikum präsentiert werden. Die kurzen Ausschnitte und Einblicke in die Vergangenheit des Bachtelen und damit in die Schweizer Heimlandschaft auf verschiedenen Ebenen wirken zeitweise beunruhigend. Beispielsweise wenn bei «Wieder Reden» Jugendliche oder der Gesamtleiter höchst persönlich Ausschnitte aus Reden und Schriften zum Thema Erziehung präsentieren, wie sie früher praktiziert wurde, Anleitungen, wie der Strafenkatalog aussehen soll: Nicht zu viele Tatzen und keine übermässigen Schläge auf den Rücken dürfen erteilt werden.
Es ist nicht statthaft, einem Bettnässer das nasse Laken umzuhängen und ihn an den Pranger zu stellen. Schläge ins Gesicht sind nicht toleriert, Kopfnüsse nur bedingt. Ein Kind zu isolieren ist in Ordnung, einschliessen auch, aber nicht dort, wo normalerweise die Tiere sind. Es war ein hartes Leben, dass die Kinder im Bachtelen und in anderen Heimen in früheren Jahrzehnten erleben mussten, heute kaum vorstellbar. Das alleine wirkt schon ziemlich verstörend.
Aber auch Witziges und Skurriles gibt es zu entdecken. Beispielsweise einen Fussballmatch, kommentiert von Sportmoderator Dagobert Cahannes, bei dem sich Kinder und Jugendliche des Bachtelen als Ronaldo, Manuel Neuer, Fabian Schär usw. gegenüber stehen und in Zeitlupe ein turbulentes Spiel zeigen – nur den Ball, den muss man sich vorstellen, er existiert nur imaginär.
Skurril und beeindruckend der Auftritt der singenden Schwestern mit überdimensionalen Kopfbedeckungen auf dem Dach der Aula, die in regelmässigen Abständen das Geschehen auf dem Bachtelen-Gelände unterbrechen und das Publikum mit ihrem Gesang in den Bann ziehen.
Witzig auch der Auftritt der beiden Töchter des Heilbadgründers Girard beim Engeliweiher, die im spärlichen Licht von Laternen in die Anfänge des Bachtelen zurückführen, in die Zeit kurz nach dem Aufenthalt des Revolutionärs Giuseppe Mazzini. Verständlich, dass die beiden jungen Damen hin und weg sind, romantisch verklärt und verliebt über beide Ohren in den feurigen Italiener.
Eher zum Nachdenken regt ein kurzes Theater an. Die Szene: ein Mittagstisch im Bachtelen, betreut von zwei Schwestern. Einer der vier Buben wird fremdplatziert, eine in vergangenen Zeiten gängige Methode, bei der Buben an Landwirtschaftsbetriebe übergeben wurden und dort als Verdingbuben hart arbeiten mussten. Dass sie dort unter Umständen nicht sonderlich gut behandelt wurden, erstaunt nicht. Das wissen auch die Schwestern, aber mehr als den Knaben in ihre Gebete einschliessen, können sie nicht. Denn schon am selben Tag kommt der nächste Junge ins Bachtelen.
Eine wichtige Figur ist Ampelio Zardo: Der Mann war schon als Junge ein Pflegekind und ab den 30er-Jahren immer wieder im Bachtelen, meist unangemeldet, überraschend. Und wie er kam, so verschwand er jeweils auch wieder. Um ihn dreht sich einerseits ein Theaterstück,
das im Bad gespielt wird, bei dem Menschen, die mit ihm zu tun hatten, aus ihren Erfahrungen mit ihm berichten, ohne dass er als Figur selber auftritt. Andererseits zieht der junge Zardo in «Z’mitzt am Rand» mit seinem Leiterwägeli auf dem Bachtelengelände umher, putzt Schuhe oder verkauft irgendwelche Schleckereien «für n’ es Füfzgi».
Dabei verwickelt er die Passanten – das umherwandelnde Publikum – in Gespräche, erzählt aus seinem Leben und fragt immer wieder, ob man eventuell die Polizei gesehen habe, er sei nämlich ein gesuchter Mann. Selbst Profifussballer bei Paris Saint Germain sei er mal gewesen, selbstverständlich unter falschem Namen, weil auch da: Illegal, wie er theatralisch betont. «Ich habe ein Tor nach dem anderen geschossen, zäck zäck zäck».
Das Festspiel «Z’mitzt am Rand» wird diese Woche jeden Abend gespielt, jeweils von
18– 22 Uhr. Am Samstag von 11–15 Uhr.