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Mirjam Wullschleger von der Kantonsarchäologie des Kantons Solothurn präsentierte im neuen Museum Biel erste Ergebnisse zu den Ausgrabungen in Grenchen.
2011 wurden in Grenchen die Überreste eines römischen Gutshofes entdeckt, einer sogenannten villa rustica. Letztes Jahr wurde zudem westlich der Eusebiuskirche ein Gräberfeld aus dem frühen Mittelalter ausgegraben. Mirjam Wullschleger, Projektleiterin bei der Kantonsarchäologie des Kantons Soloturn und Leiterin des Fachbereichs Römerzeit, orientierte in einem Vortrag im neuen Museum Biel über erste Ergebnisse der zwei Ausgrabungen.
«Wir befinden uns in den Jahren um 650 nach Christus, in einer Zeit, in der in Westeuropa germanische Könige an die Stelle der römischen Herrscher getreten sind, und sich das Machtzentrum von Süden nach Norden, ins heutige Frankreich und Deutschland verlagert hat. In der Zeit der Merowinger, benannt nach einer fränkischen Königsdynastie. Das Gebiet von Grenchen gehörte damals zum fränkischen Teilreich Burgund», so Wullschleger.
Dass sich nordwestlich der Eusebiuskirche ein Friedhof aus dem Frühmittelalter befindet, war schon seit dem frühen 19. Jahrhundert bekannt. Immer wieder fanden dort aus Neugier Ausgrabungen statt. Die älteren sind kaum dokumentiert und mussten mindestens 100 Gräber zutage gefördert haben. Man hatte denn auch vermutet, dass die meisten Gräber bereits bei früheren Grabungen ausgeräumt worden waren. «Umso grösser war unsere Überraschung, dass von den 62 Gräbern, die wir entdeckten, rund 50 weitgehend intakt waren.» Man fand rund 70 Skelette von Frauen, Männern und Kindern in gemauerten Gräbern mit schweren Deckplatten, die in Reihen angelegt waren. Bis auf eine Ausnahme wurden die Menschen mit dem Kopf im Westen und den Füssen im Osten begraben. Genauere Angaben über Alter, Geschlecht, Sterbealter oder Hinweise auf Krankheiten lägen noch nicht vor, da die Skelette noch weiter untersucht würden.
Ein Grab fiel besonders auf: der Mann wurde nämlich mit seinem Waffengurt mit prächtiger Schnalle und seinem Schwert begraben, einem einschneidigen Kurzschwert, dem sogenannten Kurzsax und einem dazugehörenden Messer. In nur drei der 50 Gräber wurden solche Kurzsaxe entdeckt. In einer Tasche am Rücken fand man ausserdem eine Pfeilspitze aus der Steinzeit, die der Mann zu Lebzeiten gefunden haben muss.
Die Gurtteile waren typisch für das erste Drittel des 7. Jahrhunderts, der Mann starb ungefähr im Jahr 630. «Im Gegensatz zu Sklaven oder Leibeigenen durften nur freie Männer eine Waffe tragen. Im spätrömischen Sprachgebrauch gab es die Redewendung ‹cingulum dare›, jemandem den Gurt geben oder jemanden in ein Amt einsetzen.» Waffe und Waffengurt sowie die reich verzierte Gurtschnalle liessen also auf einen Würdenträger schliessen, der in der Gemeinschaft das Sagen hatte, so Wullschleger.
Wer aber waren die Menschen, die hier begraben wurden? Dazu Wullschleger: «Wir kennen den Friedhof der Menschen, die hier vor gut 1400 Jahren ihre Toten bestatteten. Wo aber ihr Dorf lag, wissen wir nicht. Denn in dieser Zeit bestanden Häuser vorwiegend aus Holz und hinterliessen im Boden keine Spuren.» Es gebe aber Grabfunde, die nur in einem gewissen Gebiet vorkommen und auf den Kulturkreis ihrer Träger schliessen lassen. «So trugen die Frauen in Grenchen ihre prunkvollen Gürtel gut sichtbar über dem Gewand. Solche Gürtelschnallen kommen vorwiegend im Gebiet der Westschweiz vor, das von den Romanen bewohnt wurde. Romanen nannte sich die einheimische Bevölkerung, welche Nachfahren der Gallorömer waren.»
Im Gegensatz dazu finden sich in der Ost- und Zentralschweiz ab dem 7. Jahrhundert zugezogene Alemannen mit andren Formen von Schnallen. Die Grenze der verschiedenen Schnallen liegt ungefähr bei Solothurn. Darum kann man behaupten, dass Grenchen früher zur Romandie gehört hat. Die Alemannen waren letztlich dafür verantwortlich, dass hier Deutsch gesprochen wurde, während in der Westschweiz die romanische Sprache im Französisch weiterlebt.
Weitere Erkenntnisse sind noch in diesem Jahr zu erwarten, so Wullschleger.
Den ersten Teil ihres Vortrags widmete Wullschleger dem Fundort aus dem Jahr 2011 im Nordosten Grenchens, nördlich der Jurastrasse. «Es gab in der Umgebung früher schon Funde, die darauf schliessen liessen, dass man hier fündig werden würde.» Zu den wichtigsten archäologischen Überresten gehören ein Graben aus der Frühzeit der Villa, eine Steinpflasterung sowie ein Gebäude. Der älteste Baurest war ein mächtiger, im Querschnitt V-förmiger Graben, der um das Jahr 40 nach Christus angelegt worden war und rund eine Generation später, um 60/70, bereits wieder aufgefüllt war. Der Graben hatte ein Gefälle und diente wahrscheinlich als Wassergraben.
Als interessant bezeichnete ihn Wullschleger wegen des Fundes zweier Hundeskelette, die man vergraben hatte. Eine Untersuchung dieser Skelette durch eine Archäozoologin brachte zutage, dass der eine die Grösse eines Spitzes, der andere die eines Appenzellers hatte und man beiden Hunden nach ihrem Tod das Fell abgezogen hatte. Allerdings weist ein bei den Hunden vergrabener Bärenzahn auch darauf hin, dass die Hunde nicht einfach verscharrt, sondern regelrecht bestattet wurden. Wullschleger: «Möglicherweise fanden hier treue Haustiere ihre letzte Ruhe, begleitet von einer rituellen Handlung.»
Etwa im Jahr 100 nach Chr. errichteten die Römer ein Ökonomiegebäude, so etwas wie eine Scheune, von rund 11 × 14 Meter Grundfläche an der Stelle, dessen Fundament als Einziges übrig blieb. Das Gebäude hatte einen grossen und drei kleinere Räume, war nicht rechtwinklig, sondern in einem stumpfen Winkel angelegt. «Zufall oder Planung? Für die Planung sprechen die Grössenverhältnisse der drei kleinen Räume», erklärt Wullschleger: «Der nördliche Raum ist genau zweimal so gross wie der mittlere, der südliche dreimal so gross.
Dass es sich um ein Ökonomiegebäude eines Landwirtschaftsbetriebs gehandelt haben muss, schliessen die Archäologen aus Fundstücken, wie einem Teil eines Jochs, durch das die Zügel der Zugtiere geleitet wurden. Man fand auch Scherben von typischen Gefässen, wie sie zur Frischkäseherstellung verwendet wurden und den Griff eines Klappmessers sowie einige Gewandfibeln und Gewandnadeln, darunter auch eine Häsin, auf deren Leib zwei kleine Hasen modelliert waren.
Da es sich bei diesem Gebäude um einen Teil eines typischen, römischen Gutshofes handelt, stellt sich die Frage nach der Lage des Herrschaftsgebäudes. «Wir vermuten, dass es sich weiter östlich befunden hat. Dies auch aufgrund von Mauerfunden aus früherer Zeit, über die berichtet wurde.» Da dort in absehbarer Zeit wieder eine Überbauung geplant ist, sei gut möglich, dass die Kantonsarchäologie bald wieder zum Einsatz komme.