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Die kanadische Radrennfahrerin Emilie Roy reist zum ersten Mal in ihrem Leben nach Europa. Sie fährt an der «Swiss Track Cycling Challenge» in Grenchen – um ihren grossen Traum zu erreichen: Den Sprung ins Nationalteam.
Québec, Kanada – Grenchen, Schweiz: 5'458 Kilometer. Diese Distanz hat Emilie Roy diese Woche zurückgelegt. «Das Flugzeug und ich – wir sind nicht gerade beste Freunde», sagt sie auf Französisch, mit schwerem kanadischen Akzent. 32 Jahre alt, gross und muskulös, blonder Pferdeschwanz. «Mais il faut ce qu’il faut.» Sie habe halt getan, was getan werden musste, um an der «Swiss Track Cycling Challenge» teilzunehmen, die nächsten Donnerstag und Freitag im Grenchner Velodrome stattfindet. Dort messen sich Rad-Athleten in zehn verschiedenen Disziplinen. Das Ziel sei bei jedem Wettkampf «première place», sagt Roy. Primär geht es der Kanadierin aber darum, Erfahrung an einem grossen Turnier zu sammeln. Roy ist nämlich noch nicht lange im Bahn-Rennsport.
Sie sei zum ersten Mal in der Schweiz, und zum ersten Mal überhaupt in Europa. Am Montag ist die Athletin angereist. Roy hat ein Zimmer in einem Air BNB im Stadtzentrum gemietet. Seither trainiert sie jeden Tag rund zwei Stunden auf der Bahn. «In Québec haben wir kein Velodrome», erklärt sie. Nur in Toronto gebe es eine richtige Bahn. Weil es in Kanada ähnlich kühl sei wie in der Schweiz, könne sie in den Wintermonaten auch nicht draussen trainieren.
Stattdessen tritt sie auf einem Home-Trainer in die Pedale. Deshalb findet sie es «aufregend», jetzt tagtäglich eine feste Bahn unterm Rad zu haben. Rund zwei Stunden trainiert Roy täglich – auf der Bahn und im Fitnessstudio. Auch den Weg von ihrer Unterkunft bis zum Velodrome, den sie eigentlich auch «à pied» in einer Viertelstunde schaffe, legt sie mit dem Velo zurück. Auf dem Rad brauche der Körper nämlich andere Muskeln, als zu Fuss.
Ihren strengen Trainingsplan zieht Roy auch zu Hause in Québec durch. Sie arbeitet zusätzlich auch für eine Firma, die Spitzensportler betreut. Das tat sie schon, bevor sie selbst zur Athletin wurde. Sie kenne das Metier deshalb schon. Roy brachte an ihre ersten Sprint-Rennen auch schon einen «sportlichen Rucksack» mit: Zuvor fuhr sie nämlich Strassenrennen mit dem Velo. «Ich mag aber die kurzen Strecken lieber», erklärt die Kanadierin. Deshalb sei sie für ihre Sportart relativ spät eingestiegen. Erst seit Anfang Jahr fährt sie in der Elite-Kategorie – also auf Profi-Niveau.
Dafür konnte sie schon erste Erfolge feiern: Bei den letzten kanadischen Meisterschaften holte sie Bronze in der Kategorie «Team-Sprint», später den 4. Rang auf 500 Meter und im Sprint. «Mit meinem ersten Jahr bei den ‹Grossen› bin ich also sehr zufrieden», erklärt Roy, und unterstreicht die Aussage mit beiden Händen. Vor allem gehe es ihr im Moment darum, ihre eigenen Bestzeiten zu schlagen, und Punkte zu sammeln. Bei Wettkämpfen wie der kommenden «Swiss Track Cycling Challenge» in Grenchen ergattern Athleten nämlich sogenannte UCI Punkte. Diese sind beispielsweise entscheidend, um ins Nationalteam aufgenommen zu werden. Und genau das will Roy.
Nächstes Jahr wird die 32-Jährige erneut ein Rennen in Pennsylvania bestreiten, um weitere Punkte zu holen. Deshalb fliegt sie bereits am Abend nach dem Wettkampf nächsten Freitag von Grenchen zurück nach Québec. Sie hat zwar Weihnachtsferien, sagt sie, trainiert aber trotzdem weiter. Auch wenn sie im neuen Jahr zurück zur Arbeit geht, folgt sie dem Trainingsplan: Um etwa 6 Uhr aufstehen, eine bis zwei Stunden Training, Arbeit, abends noch einmal eine bis zwei Stunden Training, und gegen 21 Uhr ins Bett.
Hat sie so überhaupt Zeit um Weihnachten zu feiern? Doch, das schon. Sie müsse sich halt mit Festessen und Alkohol zurückhalten. Schliesslich hat sie grosse Vorsätze für das nächste Jahr. «Die einzige goldene olympische Medaille für Kanada im Sprint holte ein 39-jähriger Athlet.» Sie habe also noch Zeit. «On croise les doigts», sagt Roy lächelnd, und verkreuzt Zeige- und
Mittelfinger.