Amtsgericht
Auf Kindergärtler eingestochen - wie lange muss er in Psychiatrie?

Nun steht der Mann vor Gericht, der 2013 im Sonderpädagogischen Zentrum Bachtelen beinahe einen Kindergärtler tötete, indem er ihn mit einem Küchenmesser attackiert hatte. Eine Gutachterin attestierte dem Angeklagten eine paranoide Schizophrenie.

Hans Peter Schläfli
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Er hat beim «Bachtelen auf einen Kindergärtler eingestochen.

Er hat beim «Bachtelen auf einen Kindergärtler eingestochen.

TeleM1/om

Nur eine Frage beantwortete Martin P.*, bevor er sich auf sein Recht berief, die Aussage zu verweigern. «Ich bin der Ansicht, dass ich nicht krank bin», antwortete der 24-jährige Angeklagte auf die Frage von Gerichtspräsident Yves Derendinger, ob es ihm heute gesundheitlich besser gehe. Trotz des Schweigens des Angeklagten erfuhr man im Verlauf der Verhandlung viel über den jungen Mann aus Solothurn, der mit dem Velo nach Grenchen fuhr, um beim Schulhaus des Sonderpädagogischen Zentrums Bachtelen das erstbeste Kind, das ihm über den Weg lief, mit einem Küchenmesser zu attackieren. Mit brutalen Messerstichen hätte er das sechsjährige Kind beinahe getötet.

Vor dem Amtsgericht Solothurn-Lebern waren sich am Montag Gutachterin, Anklage und Verteidigung einig, dass der Mann wegen einer paranoiden Schizophrenie – gekoppelt mit einer autistischen Störung – nicht schuldfähig ist. Alle Seiten stützten den Antrag auf Anordnung einer stationären Massnahme in einer geschlossenen Anstalt.

Ein gewisser Peter habe ihm gesagt, dass er ein Kind töten müsse, um aus dem Spiel aussteigen zu können, hatte P. der Polizei kurz nach der Tat als Motiv genannt. Dafür könne er nicht belangt werden. «Er lebt in zwei Realitäten», erklärte die psychiatrische Gutachterin Anke Ripper das eigentlich Unerklärliche. «Er weiss, dass man in der normalen Realität keine Menschen töten darf. In der anderen, der wahnhaften Realität war er aber überzeugt, dass er so handeln durfte. Ihm fehlt die Einsichtsfähigkeit. Er wusste nicht, dass die Realität unserer Welt Gültigkeit hat und nicht die andere Realität seiner eigenen Welt.»

«Fortschritte nicht so gross»

Seit eineinhalb Jahren ist Martin P. nun in einer Klinik und seine Paranoia wird medikamentös behandelt. «Die Wahndynamik hat abgenommen, deshalb ist das Rückfallrisiko etwas kleiner», sagte die Gutachterin zur Gefahr, die vom Angeklagten heute ausgeht. Das Risiko sei aber immer noch hoch. «Die Fortschritte sind nicht so gross, wie ich mir das am Anfang erhofft hatte. Ich bin nicht mehr so optimistisch.» Einmal habe er einen Angriff auf eine Assistenzärztin in der Klinik versucht. «Wenn er im Wahn wieder zur Überzeugung kommt, dass er sich aus dem Spiel zurückziehen muss, dann ist die Rückfallgefahr gross.»

Staatsanwalt Marc Finger beschrieb in seinem Plädoyer den Tathergang: «Ein Stich ins Herz war die Absicht. Als das nicht gelang, hat er mit dem Messer so lange auf das Kind eingehackt, bis er überzeugt war, dass das Opfer tot ist. Das Messer war dabei in drei Teile zerbrochen.»

«Bereit, irgendein Kind zu töten»

Finger sprach von Gefühlskälte und krass egoistischem Interesse. «Er war bereit, irgendein beliebiges Kind zu töten. Das beweist die Geringschätzung des Lebens.» Der Staatsanwalt deutete damit an, dass auch eine paranoid schizophrene Person im Wahn Mitgefühl haben sollte. Dieses sprach er dem Angeklagten mit den Worten «gnadenlos, kaltblütig und brutal» ab. Weil Martin P. ohne Empathie töten wollte, handle es sich um einen versuchten Mord.

Weil Martin P. im Wahn gehandelt habe, sei er nicht schuldfähig. Deshalb beantragte der Staatsanwalt keine Strafe, sondern als Massnahme eine Therapie in einer geschlossenen Anstalt. «Eine Verwahrung könnte nur dann angeordnet werden, wenn keine erfolgreiche Behandlung möglich wäre. Diese psychischen Störungen können behandelt werden.» Falls in den nächsten fünf Jahren die Behandlung nicht erfolgreich ist, kann das Gericht die Dauer der Massnahme verlängern.

Traumatisch für das Kind

Die Opferanwältin Melania Lupi beschrieb mit eindrücklichen Worten, wie das sechsjährige Opfer in Todesangst die Tat miterlebt hatte. «Das ist ein traumatisches Erlebnis. Das kindliche Urvertrauen ist verloren. Darunter wird das Opfer sein Leben lang zu leiden haben.» Sie forderte 4000 Franken Schadenersatz und 40 000 Franken Genugtuung.

«Die Notwendigkeit einer Massnahme ist unbestritten, auch über die Dauer muss man sich nicht zu viele Gedanken machen», sagte Rechtsanwalt Alexander Kunz. Die Massnahme müsse so lange dauern, bis das Risiko eliminiert sei, fuhr der Verteidiger fort. Er sprach sich aber gegen eine Klassifizierung der Tat als Mord aus. «Er hat keine Ahnung, was er gemacht hat. Martin P. hat das Delikt nur wegen seiner psychischen Erkrankung begangen.» Deshalb fehlten die nötigen Merkmale eines Mordes. Der Verteidiger plädierte auf vorsätzliche Tötung. Mit dem Schadenersatz von 4000 Franken sei sein Klient einverstanden. Auch 40 000 Franken Genugtuung seien an sich in der Höhe angemessen, aber weil Martin P. nicht urteilsfähig im strafrechtlichen Sinn ist, könne auch keine Genugtuung gesprochen werden.

*Name geändert. Das Urteil wird am Mittwoch um 13.30 Uhr verkündet.