Haben Sie es auch gehört? Am Wochenende soll es Tauwetter geben. Kein Nebel mehr nächste Woche, der aufs Gemüt schlägt, die Temperaturen steigen bis weit über den Gefrierpunkt, man wird spätestens nach der Lektüre dieses Stadtbummels die Sonne auf der Haut spüren können. T-Shirt-Wetter, prophezeien die Meteorologen in meiner ganz persönlichen Informationsblase.
Ich habe mich nämlich dazu entschlossen, nur noch «alternative Fakten» zu verwenden. Endlich eine amerikanische Erfindung, die auch uns Europäern und Schweizern von Nutzen sein kann. So kann sich nämlich jeder seine eigene Realität schaffen, wies ihm gerade passt. Jeder lebt künftig in seinem eigenen Film. Wem «mein Wetter» nicht passt, braucht nicht zu jammern: Die Restaurantbetreiber auf dem Grenchenberg und anderswo auf den Jurahöhen, die Skiliftbetreiber und Pistenbullyfahrer, sie können sich einfach ihre eigenen Wetterprognosen schaffen: Durchs Band weg herrschen Minustemperaturen, über Nacht gibt es leichten Schneefall und tagsüber eiskaltes, sonniges Winterwetter. Ideal, damit Tausende auf den Berg kommen, um die Pisten runterzubrausen.
Oder geht es etwa darum, im Nachhinein neue, «alternative Fakten» zu schaffen? Auch gut: Am Montag werde ich meinen Kumpels erzählen, ich hätte mit netten Leuten beim Sünnele interessante Diskussionen geführt über die anstehenden Abstimmungen. Wird nun der Mittelstand die Zeche bezahlen oder werden ausländische Firmen die Schweiz zuhauf verlassen, wie die einen oder die anderen behaupten? Alternative Fakten zur Unternehmenssteuerreform III werden nach der Abstimmung jeder Seite rechtgeben.
Auch in Grenchen könnte man viel von alternativen Fakten profitieren: Das Defizit der Stadt wäre einfach wie weggeblasen, Sparbemühungen wären keine mehr nötig. Für all die leerstehenden Geschäftsräume in der Stadt stünden eine ganze Reihe von potenziellen Mietern Schlange und auch der nicht besonders gute Ruf der Stadt würde schlagartig verbessert und so würden Tausende von finanzkräftigen Steuerzahlern angelockt. Den Solothurnern würde endlich klar bewiesen, dass Grenchen eben doch viel besser ist und die Grenchner würden sich nicht mehr selber runtermachen, sondern stolz und mit hocherhobenem Haupt ihre Ansprüche geltend machen. Der Windpark würde gebaut und niemanden mehr stören, weil man ihn weder hört noch sieht, er aber trotzdem die ganze Stadt mit Strom versorgen würde.
Auch für Journalisten würde es viel einfacher: Statt die Geschichten und Gerüchte stets auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen, Aussagen von politischen oder Wirtschaftsprotagonisten auf die Waagschale zu legen und abzuwägen, was jetzt Fakt und was Fake ist, schafft man einfach den Begriff «alternative Fakten». Das Schreiben von Artikeln wird so ungemein einfacher – eigentlich unverständlich, machen die amerikanischen Medien so einen Aufstand. Denn im Grunde sind sie, sind auch wir überflüssig. Oder etwa doch nicht?