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Vor zehn Jahren wurde der Stadt Grenchen der renommierte Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes verliehen. Der damalige Stadtbaumeister Claude Barbey zeigt sich besorgt, dass das Erbe des Wakkerpreises gefährdet sei.
Als Grenchen vor 10 Jahren den Wakker-Preis zuerkannt bekam, waren Sie da überrascht oder haben Sie auch etwas darauf hingearbeitet?
Claude Barbey: Als ich 1996 meine Arbeit als Stadtbaumeister in Grenchen aufnahm, gab es für mich nur ein Thema und das hiess Stadtreparatur. Es gab eine lose Bürgervereinigung mit dem Namen «Neues Grenchen». Diese hatte schon zuvor laut über die Aufwertung des Stadtzentrums nachgedacht. Die Behörden und andere Kreise waren sich einig, bei allen baulichen Themen (Planung, Unterhalt, wirtschaftliche Weiterentwicklung) sollte die schrittweise Aufwertung der gebauten Stadt mit hoher Priorität einbezogen werden. Es wurde nach diesem Credo gehandelt. Dass diese Bestrebungen später mit dem Wakker-Preis honoriert würden, daran hätte nie jemand ernsthaft geglaubt.
Als Industriestadt hat man prima Vista ja nicht die besten Karten. Was war entscheidend, dass es doch klappte?
Es gab eine Menge anstehender Aufgaben, denken wir an die Sanierung der Schulhäuser Kastels, Halden, der Neubau der HPS, das Schwimmbad, bei all diesen Projekten gab es an der Urne ein Ja, ebenso für den Neubau des Coop Parkings! Im Hinblick auf die Eröffnung der A5 packten wir die Gelegenheit, um das kaputte Stadtzentrum zu verändern. Wir lancierten 1998 einen Planungs-Wettbewerb für die Aufwertung der Stadtmitte. Mit diesen Resultaten und Ideen wurden wir beim Bau-und Justizdepartement in Solothurn vorstellig. Die halfen sofort mit! Somit war der Grundstein gelegt um die Biel- und Solothurn- und Bettlachstrasse neu zu gestalten und als erstes den Marktplatz zu realisieren. Später kamen Projekte wie Kunsthauserweiterung und private Objekte dazu (Post, Mahle, Rodania, Breitling usw.) bei denen die Stadt viel Einfluss hatte. Die tiefgreifende Revision der Ortsplanung, legte ab 2003 die Basis für die Entwicklung der letzten 15 Jahre.
Damit wird man aber noch nicht national bekannt ...
Nachdem diese wesentlichen Projekte und Veränderungen gestartet waren, gab es durchaus Echo unter den Fachleuten. Erste Publikationen in schweizerischen Fachzeitschriften (z. B. Hochparterre, Tec21) folgten. Offenbar wurde auch der Schweizer Heimatschutz hellhörig, denn 2004 besuchte uns eine Delegation aus Zürich.
Hat der Wakker-Preis in den Köpfen der Grenchner etwas bewirkt?
Im Wakker-Preis-Jahr 2008 begannen, nach dem ersten Erstaunen viele Bürger zu begreifen, dass diese städtebaulichen Bestrebungen Sinn machen. Weiter erkannten Viele, dass wir auch über ein modernes bauliches Erbe verfügen! Das war sicher neu, ist aber bis heute vielen Leuten bewusst geblieben. Die bisherigen Kritiker wurden leiser und das Selbstvertrauen der Grenchner Bevölkerung wuchs eindeutig. Die Finanzkrise von 2009/2010 brachte jedoch viele neue Sorgen und Unsicherheiten, das nahm unseren Bestrebungen und auch der Politik eindeutig den Schwung. Das frühere Credo wurde plötzlich, wir erinnern uns, durch aggressive Parteigeplänkel übertönt.
Ein starker Eingriff waren neue Verkehrsführungen und eine Begegnungszone auf der Hauptstrasse. Wie gelang es, Widerstände gegen diese Planungen zu überwinden?
Mit hartnäckiger Überzeugungsarbeit. Ich merkte, wenn sie wichtige städtische und kantonale Player (GVG, IHV, BGU, die Anstösser, Parteien, Baudepartement usw.) überzeugen können ziehen die Politik und die Stimmbürger am Schluss mit. Nur ein Anlauf genügte jedoch selten. Weiter halfen in der Stadtverwaltung der damalige Stadtjurist, der Finanzverwalter, die Polizei und der Stadtpräsident alle kräftig mit. Das war enorm hilfreich! Unterschätzt hatte ich die Öffentlichkeitsarbeit während und nach der Bauerei. Es wurden immer wieder Behauptungen und Unwahrheiten verbreitet.
Der neue Marktplatz mit dem Stadtdach hat bei Fachleuten gefallen, in Grenchen selber aber polarisiert. Fühlt man sich da als Prophet, der im eigenen Land wenig gilt?
Auch der neue Bundesplatz polarisierte. Ich habe volles Verständnis für diverse Ansichten und Argumente. Wer nicht zwischendurch selbst das Resultat hinterfragt und manchmal zweifelt, ist nicht ehrlich. Kluge Kritik kann unter die Haut gehen! Wer dies nicht erträgt, sollte nicht Stadtbaumeister sein. Benedikt Loderer, der bekannte Architekturkritiker, schrieb damals «das Stadtdach bändigt die grobe umliegende Architektur am Marktplatz». Ich denke, er hat recht und seine Worte finden nicht nur bei Fachpersonen Gehör. Seien wir ehrlich, der Platz funktioniert und ein filigranes Stadtdach würde hier kaum passen. Die aktuelle Idee mit den Stühlen auf dem Marktplatz finde ich übrigens gut.
«Der Schweizer Heimatschutz (SHS) zeichnet Grenchen mit dem Wakker-Preis 2008 aus», hiess es in einer Medienmitteilung vom 16. Januar 2008. «Die solothurnische Stadt erhält die diesjährige Auszeichnung für ihren sorgfältigen Umgang mit den zahlreichen Bauten der Nachkriegszeit und für die vielfältigen Aufwertungen des öffentlichen Raums. Der Preis würdigt die aktive Haltung der Behörden zugunsten einer fussgängerfreundlichen Umgestaltung des Zentrums und zur Weiterentwicklung der gebauten Stadt», hiess es in der Begründung. Und ferner: «Dies macht Grenchen zu einem ausgezeichneten Beispiel für die aktuelle Kampagne des Schweizer Heimatschutzes zur Architektur der Nachkriegszeit. Unter dem Motto «Aufschwung – Die Architektur der 50er-Jahre» lenkt diese Kampagne die Aufmerksamkeit auf die Baudenkmäler unserer jüngeren Vergangenheit. Das oft schlechte Image dieser Architektur führt zu unsensiblen Sanierungen oder gar zu Abrissen. Diesem Trend will der Schweizer Heimatschutz entgegenwirken.» (at.)
Wurde der Wakker-Preis-Maxime (vgl. Kasten) seit 2008 weiter nachgelebt?
Leider nein! Das aktuelle Stadtpräsidium und auch die Bau- und Planungskommission sowie einzelne Gemeinderäte scheinen in den letzten Jahren nicht mehr den gleichen Wert auf die qualitative Stadtentwicklung zu legen. Anders kann ich mir den Aderlass und die bewusste Schwächung der Baudirektion nicht erklären. Die aktuelle Finanzpolitik lässt, ausser Sparen, auch keine Investitionsbereitschaft und neue Ziele erkennen. Im Jahr 1998 hatte die Stadt über 32 Mio. Fr. Schulden mit hohen Zinsen, über 7% Arbeitslose, eine kränkelnde Wirtschaft, nur wenige private Investitionen und dennoch brachten die Behörde die zuvor genannten Geschäfte zur Urnenabstimmung und der Bürger sagte Ja! Das war mutig! Trotz den grossen Investitionen, hatte die Stadt 2010 alle Schulden abgebaut und rund 10 Mio. Fr. Vermögen gebildet. Das ist alles aktenkundig und zeigt auf, mit Hoch und Tiefs geht es immer vorwärts! Im Augenblick kosten Kredite beinahe nichts und der Handlungsbedarf wäre doch riesig!
Wo sähen Sie den Handlungsbedarf, haben Sie ein Beispiel?
Zum Beispiel beim Bahnhof Süd gibt es seit rund fünf Jahren ein fertiges Wettbewerbs- Projekt für einen Busbahnhof. Die SBB und öV- Kunden warten, dass endlich etwas geht, denn die heutige Situation ist gefährlich. Der damalige Wurf ergäbe eine nachhaltige Aufwertung des Ortes. Von der Summe her hätte man jedoch an die Urne gehen müssen - hat man davor Angst oder was klemmt? Debattiert wird nun rein politisch über eine Reihe von neuen Varianten, keine Fachjury mehr, welche Empfehlungen für Gemeinderäte abgeben kann. Werden von der Politik die Kriterien wie Funktionalität, räumliche Erscheinung/Ästhetik, Übersichtlichkeit, Sicherheit, Verkehrsabläufe, Kosten und weitere Kriterien richtig bewertet? Das Vorgehen ist aus fachlicher Sicht nicht richtig. Ich habe berechtigte Zweifel, ob es bei diesem schwierigen Projekt ohne Fachjury gut kommen wird.
Die Stadt hatte nicht gerade Glück mit der Auswahl Ihrer Nachfolger. Der dritte kommt jetzt ins Amt. Ahnen Sie, wo der Wurm drinsteckt?
Ja, ich glaube schon. Das politische System gibt dem Stadtbaumeister viel Spielraum, es ist seine Aufgabe nebst dem Verwalten auch als Vordenker zu wirken, um die immer komplexer werdenden Geschäfte für die Behörden vorzubereiten. Er vertritt die Stadt auch gegenüber andern Partnern (Bauherren, Kanton usw.). Um den Job eines Stadtbaumeisters zu bekommen und um darin zu bestehen, müssen sie ein breites, aktualisiertes Fachwissen haben sowie beruflich etwas vorweisen können. Demgegenüber stehen leider oft mangelnde Fachkenntnisse einzelner politischer Entscheidungsträger, sie haben Mühe, auf gleicher Augenhöhe mitzureden. Vergleichen sie einmal die Kommissionen anderer «Wakker-Gemeinden», z. B. Köniz oder Solothurn, dann wird ihnen einiges klar. In Grenchen steht immer wieder Parteidenken über den fachlichen Überlegungen. Verschiedentlich aufgefallen ist mir auch mangelnde Wertschätzung gegenüber meinen Nachfolgern. Das muss ändern, sonst riskiert die Stadt die Bewerbungsrunde vier!
Worauf muss der neue Stadtbaumeister achten, wenn er das Wakker-Preis-Erbe in die Zukunft retten will?
Die Stadtreparatur ist noch nicht abgeschlossen! Er sollte im Auge behalten, dass nur bei guten planerischen Lösungen ein Mehrwert für Einwohner, Wirtschaft und schöne Landschaft dieser Gemeinde entsteht. «Bauliches Basteln aus Spargründen» bezahlt sich nie aus. Wichtig ist auch, dass er die Projekte und Ziele in der Öffentlichkeit gut und persönlich erklärt. Ich wünsche ihm auch den Mut, um Ungenügendes zurückzuweisen.
Claude Barbey (65) war 18 Jahre lang, von 1996 bis 2014, Stadtbaumeister von Grenchen und hat in dieser Funktion Entscheidendes zum heutigen Stadtbild beigetragen, das 2008 mit dem Wakker-Preis des Schweizer Heimatschutzes ausgezeichnet wurde. Heute ist Barbey unter anderem als Grafischer Künstler tätig und präsidiert die Vereinigung Visarte Sektion Solothurn. Er ist zudem Präsident der kantonalen Denkmalpflegekommission.