Grenchen
Alea iacta est: Römischer Gutshof ist Geschichte

Die Grabung an der Jurastrasse in Grenchen ist ausgewertet – vor 2000 Jahren lebten und arbeiteten die Menschen hier in einer «villa rustica». Zu den interessantesten Fundstücken zählen ein römisches «Sackmesser» sowie zwei mysteriöse Hundeskelette.

Patrick Furrer
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August 2012: Archäologin Mirjam Wullschleger mit einem ausgegrabenen Tonziegel, dahinter die Baustelle am einstigen Standort der Villa. fup

August 2012: Archäologin Mirjam Wullschleger mit einem ausgegrabenen Tonziegel, dahinter die Baustelle am einstigen Standort der Villa. fup

Die Entdeckung könnte nicht besser zum einstigen Bauerndorf Grenchen passen: Die Grundmauerüberreste der römischen Siedlung, die die Kantonsarchäologen im Juli 2011 an der Jurastrasse ausgegraben hatten, gehörten höchstwahrscheinlich zu einem Ökonomiegebäude; einem einfachen Steinhaus, in dem vor rund 2000 Jahren Getreide, Gemüse oder andere Nahrungsmittel verarbeitet und haltbar gemacht wurden. Ein Lagerschuppen oder eine Scheune – passend zum Namen der Stadt, deren französische Version «Granges» übersetzt nämlich genau das bedeutet: Scheune.

Vor einem Jahr war offen, ob es sich bei dem Gebäude sogar um das Hauptgebäude der ländlichen Siedlung – einer «villa rustica» – handelt. Nachdem die Grabung vollständig ausgewertet ist, wird das Hauptgebäude nun vielmehr nördlich und östlich der Maria-Schürer-Strasse vermutet. Endlich gibt es einen Beleg dafür, dass an dieser Stelle ein römischer Gutshof stand, was frühere, kleinere Entdeckungen schon länger nahelegten.

Römisches Leben wird fassbar

Zwischen 50. n. Chr. und 250 n. Chr. haben an dieser Stelle bereits Menschen gelebt, gearbeitet und die Aussicht genossen. Grabungsleiterin Mirjam Wullschleger freut sich sehr, dass aus einer «Notübung» heraus so viel gefunden werden konnte. Zur Erinnerung: Nur knapp zwei Monate hatten die Archäologen Zeit, weil die Espace Real Estate auf besagtem Grundstück eine Wohnüberbauung mit Parkhaus plante. Ein Teil dieser «casa romana» steht bereits. Und dort, wo vor einem Jahr die Grundmauern freigelegt wurden, wird immer noch fleissig gebaut.

Zu den archäologischen Entdeckungen gehören nebst dem Wirtschaftsgebäude auch ein Graben und eine Steinpflasterung. Das Quellgebiet war sumpfig und lehmig, aufgrund der Erosion lassen sich nicht alle Fundstücke klar einem Gebäude oder einem Gebäudeteil zuordnen. Doch die Gebäudeüberreste und die teilweise aussergewöhnlichen Kleinfunde aus Keramik, Stein, Glas oder Bronze machen das römische Leben fassbar. «Schmiedeschlacken belegen zudem, dass in der Villa Eisen verarbeitet wurde», schreibt Mirjam Wullschleger in ihrem Grabungsbericht. Ein bronzener Zügelführungsring belegt Fuhrwerke und Zugtiere auf dem Hof.

Besonders freut sich die 32-jährige Archäologin aber über den Fund einer Art römischen Sackmessers. «Man müsste es patentieren lassen», scherzt sie. Gefunden wurde ein 50 Millimeter langer und 11 Millimeter breiter Schaft mit roten und blauen Emaileinlagen. Die Messerklinge war an einem Eisenstift drehbar. In seiner Ausgestaltung ein Einzelstück, weiss Mirjam Wullschleger aus Gesprächen mit Berufskollegen. Doch da ist noch mehr.

Zwei ominöse Hundeskelette

Verschiedenste Fibeln deuten darauf hin, dass im Ökonomiegebäude auch Frauen zu Hause waren. Diese Gewandnadeln dienten zum Verschliessen der Kleidung, vergleichbar mit einer Sicherheitsnadel. Das und die drei kleineren Nebenräume legen nahe, dass im Gebäude nicht nur gearbeitet, sondern auch gewohnt wurde. Für Landarbeiter oder Sklaven zu dieser Zeit keine Seltenheit. Die Archäologen gehen davon aus, dass der mindestens 20 Meter lange und 13,3 Meter breite Steinbau im 2. Jh. n. Chr. gebaut und bis ins 3. Jh. bewohnt worden war. Komisch findet Mirjam Wullschleger, dass der Grundriss ziemlich schief ist, obwohl zu Römerzeiten grundsätzlich rechtwinklig geplant und gebaut wurde.

Weitaus ominöser noch ist der Fund von Knochenresten, aus denen sich die Skelette zweier Hunde rekonstruieren liessen. Die Auswertung ergab, dass es sich bei den beiden Vierbeinern um einen etwa 2-jährigen Spitz und einen etwas älteren Sennenhund gehandelt haben muss. Gefunden wurden die Skelette im freigelegten Teil des Wassergrabens, was bedeuten könnte, dass die Tiere in Ritualen einer Gottheit geopfert worden sein könnten. «Oder aber, sie wurden einfach verscharrt oder begraben», ergänzt Mirjam Wullschleger. Mit absoluter Gewissheit könnten sich solche Sachen letztlich nie sagen lassen.

Sicher ist nur: Mit dem römischen Gutshof an der Jurastrasse ist Grenchen um eine römische Entdeckung reicher. Zwei Kilometer südwestlich lag im Breitholz bereits der nächste Gutshof. Weiter Richtung Bettlach folgt die nächste Villa, und auch bei der Eusebiuskirche und auf der Strasse gegen Lengnau wurden schon Hinweise auf römische Besiedlungen gefunden.

Und die Bedeutung der «villa rustica» an der Jurastrasse? So gross, dass der Ausgrabung in der Uhrenstadt sowohl das Titelblatt wie auch das Hauptkapitel im diesjährigen Jahresbericht der Kantonsarchäologie Kanton Solothurn gewidmet werden. Der römische Gutshof ist Geschichte im doppelten Sinne – zum einen für immer verschwunden, zum anderen nun ein belegter Teil der Grenchner Historie.