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In allen Hauptstädten gibt es Lokale, in denen Medienleute und politische Akteure zusammensitzen. Ein neues Handbuch verrät mehr.
Das Restaurant Bocca di Bacco in Berlin, das Schwarze Kameel in Wien, das Lorenzini in Bern, das Café Varenne in Paris oder das Karsmakers in Brüssel – das sind Beispiele für Lokale, in denen Medienleute und Abgeordnete die Köpfe zusammenstecken und Ideen austauschen. Es gibt Lokale, wo sie sich treffen, um gesehen zu werden, beispielsweise im «Einstein» in Berlin, im «Landtmann» in Wien oder in der Bellevue-Bar in Bern.
Wollen sie die Öffentlichkeit ausschliessen, dann sitzen sie in weniger bekannten Lokalen zusammen oder in einem Privathaushalt. Politische Akteure und politische Journalisten sind sich gleichzeitig nahe und fremd. Denn einerseits bearbeiten sie die gleichen Themen, anderseits nehmen sie unterschiedliche Rollen wahr.
Wie die Beziehungen zueinander aussehen, wo sie sich treffen, welche Probleme dabei auftauchen und wie der politische Journalismus funktioniert – das (und vieles andere mehr) erfährt man im neuen «Handbuch Politischer Journalismus». Beleuchtet wird der politische Journalismus in 18 Ländern, darunter neben Deutschland, Österreich und der Schweiz auch Liechtenstein, Frankreich, Italien, die USA und Russland.
Es gibt vier Kategorien von Menschen, die von der politischen Berichterstattung in den Medien direkt betroffen sind: Erstens die Bürgerinnen und Bürger, die Zeitungen lesen, Radio hören, Fernsehen gucken oder Online-Medien nutzen. Zweitens die Journalistinnen und Journalisten, die für die Berichterstattung verantwortlich sind. Drittens die Politikerinnen und Politiker, die unter der politischen Berichterstattung «leiden» und sich hin und wieder auch darüber freuen. Und viertens die Forscherinnen und Forscher, die den politischen Journalismus untersuchen.
Als Marlis Prinzing und ich vor ein paar Jahren in Köln beim Verleger Herbert von Halem vorsprachen und ihm vorschlugen, ein Handbuch zum politischen Journalismus herauszugeben, konnten wir darauf verweisen, dass wir – ein seltener Fall! – allen vier Kategorien zugehören: Wir nutzen selber Medien. Wir waren lange aktiv im politischen Journalismus (in Deutschland und in der Schweiz). Wir waren eine Zeit lang selber politisch tätig (in einem Gemeinderat in Baden-Württemberg, im Kantonsparlament von Baselland) und vor allen Dingen sind wir beide Medienprofessoren, die den politischen Journalismus erforschen. Uns war wichtig, dem Blick von innen und von aussen sowie den Perspektiven der Wissenschaft und der Praxis in diesem Handbuch Geltung zu verschaffen. Der Verleger war einverstanden, und wir legten los.
Es war eine lange Durststrecke, bis alle Beiträge zusammen waren, die uns für ein thematisch rundes Werk wichtig schienen. So entstand ein Handbuch von 909 Seiten, das sich als ein Gemeinschaftswerk von 125 Mitwirkenden versteht. Obwohl es seit über 500 Jahren politischen Journalismus gibt, fehlte bisher ein solches Handbuch.
Es füllt also erstens eine Lücke. Es ist zweitens umfassend, behandelt es doch die Theorien, die Geschichte, die Funktionen, die Felder, die Agenda, die Orte, die Akteure, die Beziehungsnetze, die Merkmale, die Kanäle, die Konzepte, die Formen, die Ethik, Rechte und Pflichten, die Quellen, die Methoden, die Wirkung und die Ausbildung des politischen Journalismus.
Es verknüpft drittens aktuelle Forschungserkenntnisse und Berufserfahrungen. Es zeigt viertens bewährte sowie durch die Digitalisierung ermöglichte Arbeitsroutinen und Ausspielformen. Und fünftens finden sich im Handbuch viele Informationen, die man noch nirgends so gelesen hat. Alle Beiträge machen deutlich, wie unentbehrlich politischer Journalismus für die Demokratie ist. Denn nur dank ihm sind die Bürgerinnen und Bürger in der Lage, ihre Mitwirkungsrechte wahrzunehmen.
Marlis Prinzing/Roger Blum (Hrsg.) – Handbuch Politischer Journalismus. Köln, Herbert von Halem Verlag, 2021, 909 Seiten, 78 Franken.