Die syrische Familie, die ein Baby an der Schweizer Grenze verloren hat, erzählt ihre Geschichte vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das Finanzdepartement glaubt ihr nicht.
Das Bundesverwaltungsgericht in St.Gallen ist ein wuchtiger Betonbau. Ganz klein wirken davor Suha und Omar Jneid, die Flüchtlinge aus Syrien, die vor sieben Jahren von Grenzwächtern in Brig schlecht behandelt wurden.
Suha war im siebten Monat schwanger. Sie hatte wehenartige Schmerzen. Doch die Beamten weigerten sich, ihr zu helfen. In Domodossola kam das Baby tot zur Welt. Die Beamten wurden wegen Körperverletzung verurteilt, weil sie der Frau nicht geholfen hatten, ihre Schmerzen zu lindern. Nun findet der Zivilprozess statt.
Draussen vor dem Gerichtsgebäude lässt Suha Jneid ihren Mann in die Mikrofone und Kameras sprechen; sie macht einen Schritt zurück. Drinnen aber, im Raum 085, setzt sie sich vor das Mikrofon und ihr Mann hält sich im Hintergrund.
Suha spricht Arabisch. Ihre Anwältin übersetzt und reicht ihr ein Taschentuch. Tränen fliessen in die Mundschutzmaske. Suha erzählt:
«Bevor ich in die Schweiz kam, hatte ich das Bild eines Landes der Gerechtigkeit und der Freiheit. Ich habe das Gegenteil erlebt. Ich lag da, hatte Schmerzen und niemand hat mir geholfen. Das Kind ist jetzt tot. Gott hat es mir gegeben und Gott hat es mir genommen. Aber darum geht es heute nicht. Es geht um etwas anderes: Wer bringt mir die alte Suha zurück, die fröhliche Suha, die ich mal war?»
Sie stockt. Wegen der Traumatisierung in Brig leide sie an einer Depression und einem Hautausschlag am ganzen Körper. Sie berichtet:
«Als wir nach Europa geflüchtet sind, kamen wir mit der Hoffnung, unseren Kindern ein besseres Leben zu bieten als im Krieg. Als ich dann aber dagestanden bin und niemand hat mir geholfen, habe ich das Urvertrauen in die Menschen verloren. Das Leben ist für mich seither stehengeblieben.»
Die Anwältin verlangt für alle Familienmitglieder Genugtuungen und Schadenersatz von insgesamt fast 300'000 Franken.
Dann spricht Raphael Kraemer vom Rechtsdienst des Finanzdepartements:
«Ich entschuldige mich im Namen des Bundes für das Verhalten der Grenzwächter.»
Anschliessend sagt er: «Und nun zur Sache.» Genugtuungen für Angehörige seien im Gesetz nur bei Tötungen vorgesehen, nicht bei Körperverletzungen. Eine Genugtuung komme also nur für Suha in Frage.
Doch die Körperverletzung sei nicht die Ursache der Traumatisierung, sagt er, und zitiert eine Ferndiagnose eines Gutachters. Die Traumatisierung sei wahrscheinlich eher eine Folge der Flucht, der Trennung von der Heimat und der Totgeburt.
In der ersten Einvernahme habe Suha Jneid auf die Frage, wie es ihr gehe, geantwortet: «Gut, Gott sei Dank.» Die Depression sei also erst später entstanden. Das Finanzdepartement will deshalb keinen Franken zahlen.
Das Gericht wird das Urteil später, zu einem unbekannten Zeitpunkt, fällen.
Omar Jneid sagt:
«Wir wollen ein gerechtes Urteil, damit die Geschichte für uns endlich zur Ruhe kommt.»