Die SVP verliert erneut eine Abstimmung, in der es um das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU geht. Das gibt den Befürwortern eines Rahmenabkommens Auftrieb.
An der parteipolitischen Front hiess es bei der Abstimmung über die Verschärfung des Waffenrechts wieder einmal: die SVP gegen alle anderen. Zwar waren es die Schützen gewesen, die das Referendum ergriffen hatten gegen die Übernahme der EU-Waffenrichtlinie. Doch als einzige grosse Partei beschloss die SVP die Nein-Parole. Die anderen Parteien, darunter auch die FDP und die CVP, sprachen sich für die Waffenrechtsverschärfung aus – und konnten gestern jubeln: Die Stimmberechtigten haben der Vorlage mit fast 64 Prozent Ja-Anteil deutlich zugestimmt, nur im Kanton Tessin wurde sie von einer Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt.
Die SVP hingegen steht auf der Verliererseite – wie schon so oft in den letzten Jahren bei europapolitischen Abstimmungen. Die Stimmberechtigten verwarfen im Jahr 2016 zuerst die Durchsetzungs-Initiative der Volkspartei, im vergangenen November dann auch die Selbstbestimmungs-Initiative. Die SVP scheint mit ihrem Widerstand gegen alles, was von der EU kommt, bei einer Mehrheit der Stimmberechtigten nicht mehr punkten zu können. Wobei sie im Abstimmungskampf über das Waffenrecht sowieso mehrheitlich im Hintergrund blieb. Zwar weibelten einzelne Exponenten wie der Berner Nationalrat Werner Salzmann an vorderster Front und lautstark gegen die Vorlage. Von der Partei war sonst jedoch nur relativ wenig zu hören.
Die SVP hütete sich auch davor, die Abstimmung über das Waffenrecht zu einer grossen Abstimmung über das Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union zu machen und frontal gegen Brüssel zu schiessen. Und dies, obwohl ihr die Befürworter der Vorlage eine Steilvorlage dazu gaben, indem sie immer wieder vor einem Schengen-Ausschluss der Schweiz warnten, falls die Stimmberechtigten Nein sagen.
Für die Zurückhaltung seiner Partei im Abstimmungskampf gibt es laut SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi gute Gründe: «In den Leserbriefspalten und den sozialen Medien waren wir zwar sehr aktiv», sagt er. Doch bei Inseraten und Plakaten sei es immer auch eine Frage der Ressourcen. «Wir müssen unsere Ressourcen aufsparen für die zwei Hauptabstimmungen im Zusammenhang mit der EU: Die Begrenzungs-Initiative und das EU-Rahmenabkommen, die voraussichtlich 2020 respektive 2021 zur Abstimmung gelangen», sagt der Zuger Politiker.
Nach den Turbulenzen der Migrationskrise von 2015 hat die EU den Schutz der Aussengrenzen zur obersten Priorität erklärt. Die Stärkung der Grenz- und Küstenschutzagentur (Frontex) wurde deshalb in Rekordzeit beschlossen und Anfang dieses Jahres verabschiedet. Kernelement: Die Aufstockung von Frontex von gegenwärtig 1500 auf 10000 Mann bis zum Jahr 2027. Schon in zwei Jahren soll ein permanenter Pool von 5000 Beamten bereitstehen. Die Schweiz ist im Rahmen der Schengen-Mitgliedschaft und der Frontex-Beteiligung auch betroffen und wird das neue Reglement übernehmen. Die eidgenössische Zollverwaltung rechnet damit, dass die Notifizierung durch die EU im Herbst stattfinden wird.
Mit der Revision erhält Frontex nicht nur beträchtlich mehr Ressourcen wie eigene Schiffe und Fahrzeuge. Auch die Kompetenzen sollen massiv ausgeweitet werden. So kann Frontex in Länder des Schengenraums eigenes Personal entsenden und auch in Drittländern mit lokalen Behörden Operationen durchführen. Ein Schwerpunkt soll auf Rückführung abgelehnter Asylbewerber liegen, wo Frontex die nationalen Behörden unterstützen soll. Die Schweiz kooperiert hier jetzt schon verstärkt: Im vergangenen Jahr wurden 22 von 55 Sonderflügen in Zusammenarbeit mit Frontex durchgeführt.
Mit den grösseren Ressourcen steigt auch der Finanzbedarf der EU-Grenzschützer. Die EU-Kommission schlägt in ihrer Budgetplanung 2020-2027 insgesamt 12 Milliarden Euro für Frontex und die verbundene IT-Agentur EU-LISA vor, welche Datenbanken wie das Fingerabdrucksystem Eurodac managt. Im Vergleich zu den 3 Milliarden des aktuellen Finanzierungszeitraums steigern sich die Aufwendungen um das Vierfache. Auch für die Schweiz dürften damit Mehrkosten anfallen. Im vergangenen Jahr beliefen sich die Frontex-Beiträge auf 14 Millionen Franken. Wie hoch der künftige Betrag ausfallen wird, konnte die eidgenössische Zollverwaltung auf Anfrage nicht sagen. Klar ist nur, dass auch der bisherig verwendete Kostenschlüssel zur Anwendung kommen wird.
Neben dem Geld wird die Schweiz Frontex auch mit mehr Grenzschützer unterstützen. Heute leistet die Schweiz rund 1200 bis 1300 Diensttage im Jahr, was zwischen 4 und 5 Vollzeitstellen beträgt. Skaliert man diese Zahl auf den anvisierten Personalbestand, könnte das Grenzwachtkorps bis zum Jahr 2027 permanent über 25 Beamte einsetzen müssen. Die Zollverwaltung wollte sich auch hier nicht auf eine Prognose auslassen. Aufgrund des ausgedehnten Aufgabenbereichs würde es eine breitere Palette an Personalkategorien geben, welche zum Beispiel auch vom Staatssekretariat für Migration bedient werden könnten, hiess es bloss.
Obwohl die Anpassung des Frontex-Reglements politisch weit weniger Wellen schlagen dürfte als die Waffenrechtsreform könnte es zu Diskussionen kommen. Schon bei der letzten Frontex-Reform 2017 zeigte sich die SVP aus souveränitätspolitischen Gründen skeptisch und die Grünen kritisierten die Zusammenarbeit mit fragwürdigen Regimes in Drittstaaten sowie den «Ausbau zu einer Festung Europa». (rhe)
Diesbezüglich werden schon bald entscheidende Weichenstellungen erwartet. Der Bundesrat wird sich voraussichtlich im Juni mit dem Rahmenabkommen und der SVP-Initiative, mit der das Personenfreizügigkeitsabkommen geändert oder sonst gekündigt werden soll, befassen. Wie diese Zeitung am Samstag berichtete, zeichnet sich ab, dass die Landesregierung dabei eine Zwei-Phasen-Strategie fahren will: Zuerst soll die Begrenzungs-Initiative gebodigt werden, bevor man mit dem Rahmenabkommen weitermacht.
Für die Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder sendet das gestrige Abstimmungsergebnis ein «positives Signal, gerade auch im Hinblick auf die künftigen Diskussionen über das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU». Die Aussenpolitikerin sagt: «Die Bevölkerung hat klar gezeigt, dass sie hinter dem heutigen bilateralen Weg steht.» Davon will SVP-Fraktionschef Aeschi hingegen nichts wissen: Beim Waffenrecht sei es um eine «isolierte Einzelfrage» gegangen. Er ist sich sicher: «Wird die Bevölkerung gefragt, ob sie das Rahmenabkommen oder die masslose Zuwanderung weiterhin will, gibt es ein Nein.»
Die SVP legte ihre Zurückhaltung gestern denn auch sofort ab, ging in die Offensive und versuchte, aus der Niederlage an der Urne ein Argument gegen das Rahmenabkommen zu machen. In einer Mitteilung warf sie den Befürwortern des Waffenrechts vor, eine «Angstkampagne» gefahren zu haben. «Solche angstgetriebenen Abstimmungsergebnisse wären künftig die Regel, falls der Bundesrat das Rahmenabkommen mit der EU unterschreibt», hiess es in der Mitteilung weiter. Dann müssten die Schweizerinnen und Schweizer ständig mit der Drohung im Nacken abstimmen, dass alle bilateralen Verträge gekündigt würden, wenn sie eine noch so kleine Anpassung der EU ablehnen.
Thomas Aeschi sagt: «Nun sieht das Volk, was die dynamische Rechtsübernahme beim Rahmenabkommen für die Schweiz bedeuten würde.» Die SVP wird aber noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten müssen: Gemäss einer Umfrage des Forschungsinstituts Gfs.Bern, die im April veröffentlicht wurde, sprechen sich momentan 60 Prozent der Stimmberechtigten für das institutionelle Abkommen zwischen der Schweiz und der EU aus.