Kaum ist die Diskussion um die «Grosi-Lizenz» im Kanton Solothurn verklungen, will der Bund noch viel schärfere Regelungen einführen. Der Kanton Bern macht das Gegenteil: Er hat das Tagesmütterwesen liberalisiert.
Andreas Toggweiler
Wer ein fremdes Kind mehr als 20 Stunden pro Woche betreut, soll künftig dafür eine Bewilligung einholen müssen, egal, ob er dies in einem Tagesmütterverein macht oder als Privatperson. Die heutige nationale Regelung schreibt lediglich eine Meldepflicht vor, wenn die Betreuungspersonen sich zur Kinderbetreuung «allgemein anbieten», was zu kantonal sehr unterschiedlichen Regelungen führte.
Neu müssen Tagesmütter (oder -väter) einen Strafregisterauszug vorweisen, Fachwissen belegen, einen Einführungskurs und Weiterbildungen besuchen. Doch damit nicht genug. Ihre Kinderbetreuung soll von einer neu zu schaffenden kantonalen Stelle überwacht werden - auch mit unangemeldeten Besuchen. Wer «schwarzhütet» muss Bussen bis Fr. 5000.- bezahlen. So sieht es ein Verordnungsentwurf des Bundes vor.
Im Kanton Solothurn sollte gemäss Auftrag der Regierung Mitte 2009 ein neues Konzept mit Standards für Tages-Krippen und Pflegekinderbetreuung umgesetzt und evaluiert sein. «Wir sind damit gut auf Kurs», erklärt Claudia Hänzi vom Amt für soziale Sicherheit. Als letzter Schritt werde zurzeit die Umsetzung der Tages- und Familienpflege ausgewertet und nach den Sommerferien der Regierung Bericht erstattet. Das neue Konzept des Bundes entspreche der bisherigen Stossrichtung im Kanton Solothurn, Es hätten denn auch entsprechende Kontakte mit der Arbeitsgruppe des Bundes bestanden. «Die beiden Konzepte haben sich gegenseitig befruchtet», sagt Hänzi. Allerdings gehe der Kanton Solothurn in Teilen weniger weit, indem die Tagesmütter bisher nur meldepflichtig sind, nicht bewilligungspflichtig. Bewilligungen seien zwar in einer ersten Phase diskutiert worden und haben zur bekannten Diskussion über die «Grosi-Lizenz» geführt. «Dies wurde eh von Anfang an missverstanden, und wir werden auch in Zukunft davon absehen.» Hingegen besteht eine Meldepflicht für alle Personen, die Kinder mehr als drei Halbtage pro Woche gegen Bezahlung betreuen.
Wie viele meldepflichtige Betreuungsverhältnisse nicht gemeldet werden, kann Hänzi hingegen nicht sagen. «Wir gehen davon aus, dass wir den grössten Teil kennen, aber auch, dass sich einige nicht melden», räumt sie ein. Deshalb würde sie auch eine Bewilligungspflicht vorziehen. «Praktisch alle Fachpersonen sind für eine Bewilligungspflicht.» Eine Bewilligung bekämen dann nur geeignete Personen, die auch über entsprechende Räumlichkeiten verfügen. «Für Verwandte und unentgeltliche Betreuungsverhältnisse würde man von einer Bewilligung absehen», versichert Hänzi. Dass die Bewilligungspflicht auch mit beträchtlichem Verwaltungsaufwand verbunden wäre, negiert sie nicht. Mit dem gegenwärtigen Budget könne sie jedenfalls nicht realisiert werden, erklärt sie. «Wir sind jetzt auf Standby und warten, wie die Regelungen des Bundes ausfallen. Diejenigen im Kanton Solothurn werden denjenigen des Bundes entsprechen und sicher nicht strenger sein.» (at.)
«Ich dachte, ich lese nicht recht», sagt Janine Auer, die Präsidentin der Tagesfamilien Region Langenthal, als sie von den geplanten Vorschriften erfuhr. «Eigentlich kann ich das alles gar nicht ernst nehmen, und ich hoffe sehr, dass jemand dieser Reglementierungswut den Riegel schiebt.» Mit über 70 Tagesmüttern und rund 120 Betreuungsverhältnissen präsidiert Auer immerhin den zweitgrössten Tagesmütterverein im Kanton Bern.
Sie sieht grundsätzlich keinen zusätzlichen Reglementierungsbedarf. Die Qualitätskontrolle innerhalb des Vereins sei gewährleistet - insbesondere auch durch die Rückmeldungen der Eltern. «Diese können die Qualität der Betreuung viel besser beurteilen, als irgendwelche kantonale Experten», ist Auer überzeugt. Sie spricht für den ganzen Kanton Bern, denn der Kanton hat die Bewilligungspflicht für Tagesmütter zwar früher gekannt, diese aber 2005 kurzerhand abgeschafft, wie Andrea Weik, die Chefin des kantonalen Jugendamtes, bestätigt. Warum?
«Wir gehen grundsätzlich von einem Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Tagesmüttern aus. Die allermeisten Eltern wählen die Betreuung mit Bedacht, da braucht es nicht noch eine kantonale Registrierungs- und Überwachungsinstanz.» Zwar schliesst Weik nicht aus, dass es in Einzelfällen zu Problemen kommen könne, diese liessen sich aber durch eine Bewilligungspflicht nicht lösen. Die auf Bundesebene geplanten Reglementierungen schiessen jedenfalls laut Weik «weit übers Ziel hinaus».
«Also, dass eine Tagesmutter einen Auszug aus dem Strafregister vorweisen muss - das geht nun einfach zu weit», sagt auch Esther Haldemann Zeltner, die Präsidentin des Tageselternvereins Biberist. Zwar sei es zu begrüssen, wenn sich gewisse Qualitätsstandards etablieren. Diese liessen sich aber innerhalb der Tageselternvereine realisieren und ohne staatliche Bürokratie. «Den Trend, alles zu professionalisieren, was von selbst auch funktioniert, lehne ich ab», sagt Haldemann.
Fakt ist auch: Je mehr professionelle Ansprüche an die Kinderbetreuung gestellt werden, desto teurer wird sie. Und gerade berufstätige alleinerziehende Mütter wären auf möglichst günstige Betreuungsangebote angewiesen. «Der Staat würde das Geld besser für die Verbilligung der Betreungsstunden ausgeben», fordert Janine Auer.
Doch es gibt auch ganz andere Meinungen: Barbara Banga, Grenchner SP-Kantonsrätin und Krippenleiterin, frohlockt ob der Ankündigung aus Bundesbern: «Ich begrüsse die neuen Regelungen sehr. Wer regelmässig Kinder betreut, sollte zumindest einen kurzen Kurs machen», fordert sie. 25 Jahre Erfahrung in der Kinderbetreuung hätten ihr gezeigt, dass für die prägende Zeit des Heranwachsens eine professionelle Betreuung wichtig sei. Dabei stelle sie fest, dass sogar manche Eltern an der Erziehungsaufgabe scheitern. «Da sollte man doch alles tun, dass wenigstens bei der ausserfamiliären Betreuung alles rund läuft.»
Was die staatliche Kontrolle betrifft, macht sich Banga hingegen keine Illusionen: «Es wird unmöglich sein, das alles zu kontrollieren», räumt sie ein. Das fragt sich auch Annemieke Moonen, Präsidentin des Tageselternvereins Solothurn und Umgebung. Viele Elemente der Qualitätssicherung sind im Verein schon seit Jahren implementiert: Basiskurse, Weiterbildung, Kontrollbesuche. Nur wird die Kontrolle der Tagesmütter hier vereinsintern organisiert, nicht durch den Staat.
«Wir sind dafür vom Oberamt akkreditiert», erklärt Moonen. Sie kann sich dabei durchaus vorstellen, dass der Verein für Kontrollen einen Leistungsauftrag des Kantons erhält. Der Kanton Solothurn ist gerade dabei, die Tageskinderbetreuung neu zu regeln, was 2007 auch zur Polemik um die «Grosi-Lizenz» führte.
Die Vernehmlassung zur neuen Bundesverordnung, die bis zum kommenden 15. September dauert, wird somit sehr kontrovers ausfallen. Das bestätigt auch David Rüetschi vom Bundesamt für Justiz. «Es gibt Kantone, die haben so gut wie keine Vorschriften hinsichtlich ausserfamiliärer Tagesbetreuung. Andere haben sehr weitgehende Regelungen. Und es gibt Fachleute, denen gehen die neuen Vorschläge des Bundes noch zu wenig weit.» Die Frage, wie stark das Tagesmütterwesen reglementiert wird, wird die Politik noch intensiv beschäftigen.