Flüchtlinge sollen zur Überprüfung ihrer Identität ihre Handys herausrücken müssen

Das Parlament arbeitet an einer Vorlage zur Auswertung der Mobiltelefone von Asylsuchenden. Ein Staatsrechtler sieht viele offene Fragen – und der Bund spricht von einem schweren Eingriff in die Grundrechte.

Tobias Bär
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Ein Flüchtling überprüft auf einem Rettungsboot die Nachrichten auf seinem Smartphone. Bild: AP/Olmo Calvo (1. Juli 2018)

Ein Flüchtling überprüft auf einem Rettungsboot die Nachrichten auf seinem Smartphone. Bild: AP/Olmo Calvo (1. Juli 2018)

Der Schutz der Privatsphäre ist in Artikel 13 der Bundesverfassung verankert. Wird dieser Schutz tangiert, dann löst dies für gewöhnlich hitzige Diskussionen aus. So war es bei der Totalrevision des Gesetzes zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf), bei der es unter anderem um die Speicherung von Telefondaten ging. Und so war es beim neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG), das beispielsweise das Abhören von Telefonen erlaubt.

Keine Grundrechtsdebatte provozierte hingegen ein Entscheid der Staatspolitischen Kommission des Ständerats vor zwei Wochen: Die Behörden sollen das Recht erhalten, Mobiltelefone und Computer von Asylsuchenden zu überprüfen. Die Staatspolitiker des Nationalrats hatten dem Vorstoss von SVP-Nationalrat Gregor Rutz (ZH) schon vorher zugestimmt, der Weg ist damit frei für eine Gesetzesvorlage.

Selbst das Staatssekretariat für Migration (SEM), das vom neuen Instrumentarium profitiert, spricht auf Anfrage von einem «schweren Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung». Dabei geht es bei der Auswertung der Handydaten weder um die Klärung schwerer Straftaten wie beim Büpf oder um die Terrorabwehr wie beim NDG – sondern um die Feststellung der Identität des Gesuchstellers, wenn dies auf anderem Weg nicht möglich ist.

Drei von vier Flüchtlingen kommen ohne Ausweis

«Wer seine Identität nicht mittels Ausweisen belegen kann und nicht kooperativ ist, auf dessen Telefondaten soll zugegriffen werden dürfen», sagt Rutz. Wer ein Asylgesuch stelle, der habe keinen Grund, seine Identität zu verschweigen. «Wir dürfen uns nicht länger an der Nase herumführen lassen.» Rutz begründet seinen Vorstoss unter anderem mit der hohen Zahl von Asylsuchenden, die ohne Papiere in die Schweiz kommen. Im vergangenen Jahr konnten gemäss Angaben des SEM drei von vier Asylsuchenden weder Pass noch ID vorweisen, im Jahr davor waren es gar vier von fünf. Das Staatssekretariat hat zur Frage, in wie vielen Fällen eine Identitätsabklärung durchgeführt werden muss, kürzlich eine mehrmonatige Erhebung in zwei Empfangs- und Verfahrenszentren durchgeführt. Das Ergebnis: Bei rund zwei Dritteln der Asylsuchenden besteht ein «Abklärungsbedarf» bei der Identität, der Herkunft oder beim Reiseweg. Die Gesuchsteller haben dabei gemäss Asylgesetz eine Mitwirkungspflicht, müssen unter anderem allfällige Beweismittel «unverzüglich einreichen». Dabei können sie auch Handydaten wie Fotos, die ihre Flucht dokumentieren, offenlegen – allerdings auf freiwilliger Basis. Das SEM kann zudem öffentlich zugängliche Social-Media-Profile überprüfen. Für die Schweizerische Flüchtlingshilfe genügt dies vollauf. Sie kritisiert, mit dem Vorstoss werde Schutzsuchenden ohne Pass unterstellt, ihre Identität absichtlich zu verschleiern. Oft besässen diese aber schon im Herkunftsland keine Papiere.

Deutschland wertet bereits Handys aus

Für den Staatsrechtler Markus Schefer von der Universität Basel stellen sich bei der geplanten Gesetzesänderung viele Fragen – unter anderem dazu, ob es für die Überprüfung der Mobiltelefone eine vorgängige richterliche Genehmigung braucht. Offen sei zudem, welche Daten ausgewertet werden dürfen. Zum Vergleich: Schleusen die Behörden heute bei der Strafverfolgung einen sogenannten Staatstrojaner in ein Handy oder einen Computer ein, dürfen sie dabei nicht auf Dokumente und Fotos zugreifen. Gemäss Gregor Rutz muss die Frage, welche Daten der Asylsuchenden verwertet werden dürfen, noch geklärt werden. Zur Grundrechtsdebatte sagt der SVP-Nationalrat, ein derartiger Eingriff müsse verhältnismässig sein, ausserdem brauche es ein öffentliches Interesse. «Beide Bedingungen sind erfüllt.»

Der Bund jedenfalls würde sich freuen, bekäme er Zugriff auf die Geräte der Asylsuchenden. Man sei interessiert an allen greifbaren Informationen, mit denen die Angaben der Gesuchsteller zur Identität, Herkunft oder dem Reiseweg bestätigt oder hinterfragt werden könnten, teilt das Staatssekretariat für Migration mit. Wäre dafür auch ein Zugriff auf die Mobiltelefone möglich, «wäre das dem SEM dienlich».

Nach Angaben des Staatssekretariats wertet unter anderem Deutschland mobile Datenträger von Asylsuchenden aus. Dort beschränke sich die Analyse aber auf Metadaten, also beispielsweise auf die Vorwahlen der Kontakte. Fotos oder Nachrichten würden nicht eingesehen.