Energiepolitik
FDP-Präsident Thierry Burkart ringt in der Atomfrage um die Einheit in seiner Partei – und gewinnt

Der neue FDP-Präsident Thierry Burkart besteht seine erste Bewährungsprobe. Die Delegiertenversammlung liefert Zeugnis eines stabilen Freisinns, aber Burkart musste Konzessionen eingehen.

Benjamin Rosch
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Thierry Burkart und seine Appelle an die Freiheit, die Selbstverantwortung und vor allem: an die Einheit der Partei.

Thierry Burkart und seine Appelle an die Freiheit, die Selbstverantwortung und vor allem: an die Einheit der Partei.

Bild: Cyril Zingaro / Keystone

Auf der Bühne läuft der Auftritt von Bundesrätin Karin Keller-Sutter, da legt der andere FDP-Bundesrat im Publikum vertrauensvoll seinen Arm um die Schulter von Thierry Burkart.

«Eine sehr gute Rede», raunt Ignazio Cassis seinem Parteipräsidenten zu.

«Sicher?», fragt Burkart zurück.

«Ja», bekräftigt der Bundespräsident, «inhaltlich und materiell hervorragend.»

Der Szene haftet unweigerlich eine gewisse Komik an: der filigrane Tessiner Cassis, der dem hochgeschossenen Burkart väterliche Zuversicht einflösst. Der Rest der Unterredung geht unter im Appell von Keller-Sutter, die auf der Bühne mit zunehmender Verve das Frontex-Referendum der Linken verurteilt. Aber Burkarts steigende Erleichterung wird von Minute zu Minute offensichtlicher.

Der Bundespräsident und der Parteipräsident: Ignazio Cassis (l.) und Thierry Burkart hatten sich in Montreux einiges zu sagen.

Der Bundespräsident und der Parteipräsident: Ignazio Cassis (l.) und Thierry Burkart hatten sich in Montreux einiges zu sagen.

Bild: Cyril Zingaro / Keystone

Der Widerspruch der Frauen

Die Delegiertenversammlung der FDP in Montreux vom Samstag ist mit Spannung erwartet worden. Nicht nur, weil es die erste ist unter der neuen Führung um den Aargauer Ständerat Thierry Burkart. Sondern auch, weil er einen Stimmungstest in einem wichtigen Dossier traktandiert hatte: Die Freisinnigen haben am Ufer des Lac Léman über ein neues Positionspapier in der Energiepolitik zu beraten.

Und auch wenn das Dokument viele Aspekte von Fotovoltaik an Lärmschutzwänden bis internationalen Stromabkommen abdeckt, überstrahlt die Debatte vor allem ein Thema: Atomenergie. Aus dem Nichts stand die FDP die vergangenen Tage vor der Frage, ob sie wieder Atomkraftwerke bauen wolle – obwohl das Volk vor nicht mal fünf Jahren den Ausstieg aus der Kernkraft beschlossen hatte.

In weiten Teilen der Schweiz ist das Thema ein Tabu, in der Geschichte des Schweizer Freisinns hat es die Kraft, die Partei zu spalten. Burkart ist am Samstag deshalb schon in seiner Eröffnungsrede bemüht, ordentlich Dampf aus der Diskussion zu nehmen. «In Frage kommt nur eine weiterentwickelte Technologie der Kernkraft», sagt er.

Damit stellt er klar, worüber Parteimitglieder in den vergangenen Tagen gerätselt haben. Es seien die «Voraussetzungen zu schaffen, um namentlich Kernkraftwerke der neuen Generation zuzulassen», lautet der ursprüngliche Satz in der Energie-Resolution, was die zeitliche Dimension im Ungefähren liess. Jetzt ist klar: Es geht um Technologien, die vielleicht zwanzig, vielleicht dreissig Jahre in der Zukunft liegen.

Im grüneren Flügel hat die Atomkraft einen schweren Stand, bei Frauen, wie so oft, und bei jenen Nationalräten, welche die Energie- und Klimapolitik von Ex-Präsidentin Petra Gössi in den vergangenen Jahren entscheidend mitgeprägt haben.

Burkart schwört seine Parteikolleginnen und -kollegen ein: «Egal, welche Position heute ins Positionspapier gelangt. Sie gilt für alle von uns.» Und, mit Nachdruck: «Entsprechend erwarte ich, dass Sie sich alle an die Beschlüsse halten!» Es wird nicht sein einziger Appell an einen geeinten Freisinn bleiben.

«Ist das Amt so schwer wie gedacht?»

Nationalrat Jacques Bourgeois kommt die Rolle zu, das Thema an der Delegiertenversammlung einzuführen. Zu diesem Zeitpunkt haben die Delegierten schon beide Bundesräte gehört und unter Anleitung gut organisierter Jungen deutlich Ja gesagt zum Referendum gegen die Lex Netflix. «Bonne chance», sagte Burkart zu Bourgeois, dann gilt es ernst. Der unaufgeregte Freiburger erörtert das Positionspapier und schwenkte gerade auf das Kernthema ein, als Alt Bundesrat Pascal Couchepin sich neben Burkart hinsetzt.

«Und», fragt er ihn, «ist dein Amt so schwierig, wie Du gedacht hast?»

«Der Anfang war einfacher», sagt Burkart. «Aber die letzten drei Wochen waren schwerer.»

Viel Druck lastet seit Tagen auf Burkart und das zeitigt seine Wirkung. Am Freitagabend haben sich die Präsidentinnen und Präsidenten der Kantonalparteien unter Burkarts Leitung getroffen, um nochmals über den Formulierungen zu brüten.

Schliesslich haben sie sich auf folgenden Passus geeinigt: Beim Ausbau und Ersatz bestehender einheimischer Produktionsanlagen dürfe es keine gesetzlichen Technologieverbote geben, «um einen stabilen Energiemix für künftige Generationen zu garantieren. Es sind deshalb die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, «damit langfristig und bei Bedarf auch eine neue Generation der Kernkraft-Technologie ihren Beitrag an die Versorgungssicherheit leisten könnte, sofern die Sicherheit jederzeit gewährleistet werden kann.»

Geordneter Rückzug

Stark verwässert, sprachlich holprig. Aber mit diesem Antrag der Kantonalpräsidien hat Burkart ein Instrument, die AKW-Gegner in seiner Partei auszukontern und dabei das Gesicht zu wahren.

Es klappt. Nacheinander ziehen die widerständischen Parteimitglieder ihre Anträge zurück. 247 blaue Abstimmungstalons schnellen gemeinsam in die Höhe, nur neun wehren sich gegen das neue Positionspapier. «Aufstand ausgeblieben», konstatiert Karin Keller-Sutter.

Und Burkart? Dieser eilt nochmals auf die Bühne, deutlich gelöster als zu Beginn der Veranstaltung. Er wolle allen danken für die fruchtbare Diskussion. «Die FDP lebt, jetzt kämpfen wir zusammen», ruft er euphorisiert in den grauen Saal. Ein Präsident, der kurzzeitig die Deutungshoheit über die Ausrichtung seiner Partei in einem zentralen Dossier verloren hat. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.