In der Hochkonjunktur wird alles unternommen, um Frauen mit Kindern die Berufstätigkeit zu ermöglichen, damit sie zumindest ein Bein im Arbeitsleben behalten. Geht es der Wirtschaft schlecht, stehen die Frauen mit ihren Teilpensen ganz schnell wieder hinterm Herd. In Grenchen spüren die Kinderkrippen die konjunkturellen Schwankungen besonders stark.
Brigit Leuenberger
Im August waren in Grenchen 564 Personen als arbeitslos gemeldet. Dies entspricht 6,7 Prozent der Einwohnerzahl. 324 davon waren Männer, 240 waren Frauen. Exakt ausgeglichen war die Zahl der Arbeitslosen bei Schweizern und Ausländern, nämlich je 282 Personen. Nicht zu erfahren war beim kantonalen Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA), ob die betroffenen Personen zuvor Teil- oder Vollzeit gearbeitet hatten. (bel)
«Ausgelastet sind wir schon, sämtliche Plätze sind belegt», sagt Therese Läderach, Leiterin der Kinderkrippe Teddybär. Die Warteliste habe jedoch seit der Wirtschaftskrise massiv abgenommen. «In den acht Jahren, in denen ich nun hier arbeite, habe ich das in diesem Ausmass noch nie erlebt», betont die Krippenleiterin. Der Normalfall sei eher, dass 20 Eltern auf einen Platz warteten. Therese Läderach kennt mehrere Frauen, die in den vergangenen Monaten ihre Stelle verloren haben. «In der Regel müssen jene mit den kleinsten Pensen zuerst gehen, wenn es in der Wirtschaft kriselt», ist sie überzeugt. Die externe Kinderbetreuung falle direkt mit der Berufstätigkeit der Mütter zusammen. «Ist die Mutter wieder zu Hause, braucht man ja keinen Krippenplatz mehr.» Ähnliche Erfahrungen macht Barbara Banga, Leiterin der Kinderkrippe Villa Kunterbunt. Allerdings beunruhigt sie die aktuelle Entwicklung keineswegs. «Ich mache diese Erfahrung seit 20 Jahren: Kaum kränkelt die Wirtschaft, gehen bei uns die Kinderzahlen zurück.» Derzeit sind in der Villa Kunterbunt eineinhalb Krippenplätze nicht besetzt. Hängige Anfragen hat es vorerst keine mehr.
Walter Sahli, Präsident des Industrie- und Handelsverbandes, ist nicht überzeugt, dass wegen der Krise mehr Teil- als Vollzeitangestellte entlassen werden. «Es kann einzelne Firmenbereiche stärker treffen als andere. Dabei spielt es keine Rolle, wie viel Stellenprozent die Leute gearbeitet haben.» Jetzt seien auch Männer und Frauen betroffen, von denen man bezüglich Qualifikation nie gedacht hätte, dass sie je entlassen werden. Dass die hohe Arbeitslosenzahl Auswirkungen auf die Krippenbelegung hat, kann sich Sahli vorstellen. «Die Leute treffen logische Sparmassnahmen. Wenn die Mutter zu Hause ist, braucht man eher keinen Krippenplatz.» Die Idee, die Industrie Krippenplätze subventionieren zu lassen, kommt bei ihm nicht besonders gut an: «Wenn wir Leute einstellen, fragen wir nicht, wie sie ihre Kinder betreuen. Das ist ihre private Verantwortung.» Ruedi Spielmann, Gewerbeverbandspräsident, betont, dass das Grenchner Gewerbe die Wirtschaftskrise bisher unbeschadet überstanden hat. «Der Umsatz ist zwar leicht zurückgegangen, aber es wurden sogar zusätzlich Leute eingestellt.» (bel)
Einen Krippenplatz - per sofort
Anders in der Hochkonjunktur: Da erhält Barbara Banga täglich bis zu fünf Anfragen für einen Platz. «Aber das wird schon wieder», beruhigt sie. Denn sie weiss: «Wenn die Leute einen Platz brauchen, wollen sie ihn lieber heute als morgen.» So gesehen unterscheide sich Grenchen von anderen Schweizer Städten, ist Barbara Banga überzeugt. «Grenchen ist eine Industriestadt. Die funktioniert anders als beispielsweise Bern. Dort wissen Eltern, dass sie auf einen Krippenplatz warten müssen und nehmen diesen in Anspruch, wenn sie nach einem Jahr zum Zug kommen.» In Grenchen hingegen brauchten die Frauen den Krippenplatz sofort, wenn sie die Möglichkeit bekämen zu arbeiten, «oder aber sie organisieren sich dann halt anders».
In der Tat sind schon die umliegenden Kindertagestätten nicht in dieser Art von der aktuellen Krise betroffen. «Wir spüren davon gar nichts», sagt Monika Crausaz von der Kita Delfin in Bettlach. Sämtliche Plätze seien ausgebucht, die Nachfrage kontinuierlich steigend. Gleiches sagt Anna Hüsler von der Lengnauer Kindertagesstätte Balu. «Ich dachte mir eigentlich, wir werden die Flaute spüren. Aber bisher geht es uns gut.» Die Krippenleiterin weiss zwar von Eltern, die von Kurzarbeit betroffen sind, doch hätten diese bisher keine Anstalten gemacht, ihre Kinder aus der Kita zu nehmen. «Sie sind optimistisch und gehen davon aus, dass sich der Zustand bald normalisieren wird. Deshalb wollen sie auch den Krippenplatz behalten.»
«Top investiertes Geld»
Kurt Boner, Leiter der Sozialregion Oberer Leberberg, warnt indessen davor, die aktuellen Entwicklung dahingehend zu interpretieren, dass der Bedarf an familienexterner Kinderbetreuung grundsätzlich rückläufig sei. «Nur weil vermehrt Eltern keine Arbeit haben und zu Hause sind, heisst das noch lange nicht, dass die Verantwortung gegenüber den Kindern nun besser wahrgenommen wird.»
Seiner Meinung nach müssten die Kinderkrippenplätze für Eltern günstiger zu erwerben sein, so dass diese sie auch in wirtschaftlich schwierigeren Situationen nutzen können. «Die Finanzierung der Kinderkrippen ist in diesem Land einfach zu schwach. Dabei ist jeder Franken in so einer Institution top investiert und könnte später bei der IV und der Sozialhilfe eingespart werden.»