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Zum zweitletzten Anlass der 16. Saison im Kleintheater Zeltainer in Unterwasser trat Jodlerin Nadja Räss, zusammen mit Markus Flückiger, auf.
«Hinderrüxlig» überfällt sie das Publikum. Hinterrücks. Überraschend, nicht heimtückisch. Und eigentlich auch nicht «von hinter dem Rücken», sondern von vorne. Doch «Hinderrüxlig» war nicht das Lied, mit dem Nadja Räss und Markus Flückiger das Publikum am Freitagabend überraschten, richtiggehend überrumpelten.
Es war «Schiibestand», mit zwei «i» wie die Schwyzer sagen und nicht mit einem wie im Toggenburg, und es kam vorderrücks, wenn man so will, frontal von vorne. Wie die Kugel auf die Scheibe trifft. Darum «Schiibestand» (nicht Ski-Bestand). Eine gejodelte Polka zum Beginn – da war das Publikum wach. Das war der Tarif, so schien es, wahrscheinlich stünden schon bald die ersten auf und tanzten wild auf dem Schnitzelboden im Zelt. Doch es kam nicht so weit.
Nach dem weckenden Auftaktjodel aber wurde zurückgeschaltet, zwei Gänge mindestens. «Frümselchen» ertönte aus Räss’ Mund, ein langsamer, schöner, melancholischer Jodel. «Hinderrüxlig» kam dann auch, so wie alle Lieder von ihrer gemeinsam eingespielten CD «Sälbander»: «Frümselchen», «Rässerrugg» und «Selun».
Langsam, auch das kann sie, die heuer 40-jährig gewordene Einsiedlerin – nicht das sie das wäre, sondern sie kommt von da – , auch wenn es ihr vorab im Auto schwerfällt.
«Als ich im Toggenburg gearbeitet habe, bin ich oft diese Strassen hier hochgefahren, ich habe sie efang auswendig gekannt.»
Womit sie meint, dass sie nicht immer langsam gefahren sei. Doch wenn Räss, mit schon wieder neuer Frisur, und Flückiger, auch mit einer Haarveränderung, einem langen Bart nämlich, langsam jodelt, dann geht erst recht etwas vor im Publikum.
Jedenfalls ging bei «S’Marannlis Hochsigbett» manches Tüchlein ans Auge und selbst ein hartgesottener Berichterstatter musste einige Tränen unterdrücken. Ein Stück, das etwas aus der Reihe tanzte mit seinem Namen, doch inhaltlich bestens zum Mix der Stile und Takte an diesem Abend passte.
Doch warum tanzte die sterbende Marann aus dem Rahmen, Nadja Räss: «Die Lieder von mir und Markus sind alle in meiner Zeit im Toggenburg entstanden. Dann hat es sich beim siebten Stück ergeben, dass wir für die Titel die Namen der sieben Churfirsten nahmen.» Doch so einfach eins zu eins kopiert hat man nicht.
Spitzbübisch erzählte Räss, dass aus dem Chäserrugg der «Rässerrugg» wurde und aus dem Brisi das «Prisi». Nur der Selun, der sei schon perfekt genug, den kann man gar nicht mehr abändern, so Räss, und darum heisst «Selun» nun Selun.
Doch wer oder was ist «Sälbander?» Der Name des Programms (und der CD) bedeute im Einsiedler Dialekt so viel wie «zu zweit», erklärte Räss: «Sälbander uf zwaine Bai wärde schwanger!» Was immer das bedeuten mag, sich selbst und ihren treuen Handörgeler Markus Flückiger meinte sie damit wohl nicht.
Doch mit sieben Liedern allein macht man noch kein Programm und füllt keine CD, es sei denn sie wären doppelt so lang. Und so hat das Komponistenduo den sieben vertonten Churfirsten – die Geschichte der Titelgebung erzählt Räss nur im Toggenburg, bei Konzerten an anderen Orten würde das Publikum wohl nicht gescheit daraus – noch sechs weitere, teils muntere, teils melancholische Lieder angehängt.
Zu einigen hatte Räss Texte des Einsiedler Dichters Meinrad Lienert (1865-1933) vertont. Eine eigenständige Arbeit also, mit fröhlichen Jodelliedern und herzzerreissenden Zäuerli – in Einsiedeln heissen sie «Jüz» – die der traditionellen Form des Jodelns entgleiten, aber doch stets dessen Geist verbunden bleiben.