Kein Happy End: Die Stadt St.Gallen kann einer abgewiesenen Flüchtlingsfamilie und ihrem behinderten Kind nicht helfen

Eine Familie erhält keine Unterstützung mehr, nachdem ihr Asylgesuch abgewiesen worden ist. Die Stadt sagt, sie sei nicht zuständig.

Marlen Hämmerli
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Private stellten der Flüchtlingsfamilie eine Wohnung in Wittenbach zur Verfügung. Dennoch blicken die Asylbewerber in eine ungewisse Zukunft.

Private stellten der Flüchtlingsfamilie eine Wohnung in Wittenbach zur Verfügung. Dennoch blicken die Asylbewerber in eine ungewisse Zukunft.

Bild: Michel Canonica

Ihre Situation ist schwierig. Mindestens so schwierig, wie sie es für alle abgewiesenen Asylsuchenden ist, eher noch etwas schwieriger. Denn zur Familie, um die es hier geht, gehört ein Kind mit Behinderung. Der zweijährige Bub ist fast taub, seine Muskeln entwickeln sich nur langsam. Therapien helfen, eine elektronische Hörprothese täte dies ebenfalls. Doch dafür wäre eine Operation nötig.

Diese wird der Junge vorerst aber nicht erhalten. Auch die Therapien sind ausgesetzt. Da das Asylgesuch abgewiesen wurde, müsste die Familie ins Ausreise- und Nothilfezentrum Vilters ziehen. Sie weigert sich aber, weshalb der Kanton die Sozialhilfe gestrichen hat.

Grüner Politiker nimmt sich der Familie an

Der Fall ging bis vors Bundesverwaltungsgericht. Dieses stützte den Entscheid des Staatssekretariats für Migration (SEM). Das politische Engagement des Familienvaters in seinem Heimatland Äthiopien erreiche kein Ausmass, das die Aufmerksamkeit der dortigen Behörden erwecke. Ausserdem habe sich die politische Lage in Äthiopien entspannt.

Der Grüne Stadtparlamentarier Jeyakumar Thurairajah setzt sich für die Familie ein.

Der Grüne Stadtparlamentarier Jeyakumar Thurairajah setzt sich für die Familie ein.

Bild: Ralph Ribi

Die Sache beschäftigt auch den St.Galler Stadtrat. Stadtparlamentarier Jeyakumar Thurairajah von den Grünen hat sich der Familie angenommen und zwei Einfache Anfragen eingereicht. Er möchte wissen: «Welche Bedeutung haben die UNO-Kinderrechtskonvention, die UNO-Behindertenrechtskonvention und die Bundesverfassung für die Verantwortlichkeit der Stadt gegenüber einem behinderten Kind von Asylsuchenden?» Denn ein Kinderrecht lautet: «Jedes Kind muss Zugang zu medizinischer Hilfe bekommen.»

Die Stadt sei an die Kinderrechte gebunden

Die Stadt sei – wie sämtliche Behörden – an diese Rechtsgrundlagen gebunden, heisst es in der Antwort auf den Vorstoss. «Dem Stadtrat ist es ein Anliegen, Menschen in Notsituationen zu helfen.»

Im vorliegenden Fall sei aber mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr die Stadt St.Gallen zuständig für die Betreuung der Familie, sondern der Kanton. In die Kompetenzen der drei Staatsebenen Bund, Kanton und Gemeinden werde nicht eingegriffen. Das sei ein tragender Grundsatz der demokratischen Ordnung.

«Ebenso wichtig ist der Grundsatz, dass Gerichtsurteile, also Entscheide der Judikative, für die Exekutive bindend sind.»

Jeyakumar Thurairajah fragt im Vorstoss denn auch, welche Sanktionen der Stadt drohen, sollte sie der Familie doch helfen. «Das könnte aufsichtsrechtliche Massnahmen nach sich ziehen», schreibt der Stadtrat. Die Frage, inwiefern sich die Empfehlungen des UNO-Kinderrechtsausschusses überhaupt an Gemeinden richten, wird derzeit im Rahmen eines Postulats geklärt.

Der Rechtsvertreter der Familie hat dem Staatssekretariat für Migration ein Wiedererwägungsgesuch eingereicht. Inzwischen hat das SEM einen Arztbericht über die Hörbehinderung des Kindes verlangt. Wird das Wiedererwägungsgesuch abgelehnt, will sich der Anwalt an den Kinderrechtsausschuss der UNO in Genf wenden. Das Prozedere dauert. Was derweil mit der Familie und dem Kind geschieht, ist offen.