«Es ist ein Virus» – Warum Männer ein Leben lang mit Modelleisenbahnen spielen

Öffnet der Modelleisenbahnclub Wittenbach-Kronbühl seine Türen, kommen die Besucher in Hundertschaften. Sie teilen eine Leidenschaft, die sie nicht loslässt: Das ewige Basteln an der heilen Welt.

Adrian Lemmenmeier
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Modelleisenbahnen faszinieren Jung und Alt. (Bild: Urs Bucher)

Modelleisenbahnen faszinieren Jung und Alt. (Bild: Urs Bucher)

Auf dem Jahrmarkt fehlt nichts: Da ist das Karussell, die Schiessbude, der Pizzastand. Kinder gehen an den Händen ihrer Eltern, zwei Betrunkene liegen sich in den Armen, sogar mobile Toiletten sind aufgestellt. Alles ist detailgetreu gebastelt, alles im Massstab 1:87. Und da fährt er: Vorbei an der starren Szenerie fegt ein Zug; elf Wagen zieht die rote RE 44. «Faszinierend», sagt ein Mann. Auf der Anlage bei ihm zu Hause seien die Züge maximal vier Wagen lang. «Wegen der engen Kurven.»

Das rosafarbene Häuschen im Wittenbacher Industriegebiet ist übervoll. Gut 800 Leute kommen vorbei, wenn der Modelleisenbahnclub Wittenbach-Kronbühl seine Türen öffnet. Mütter mit Kindern, doch vor allem ältere Herren schlendern umher. Zwischen Bahnhöfen und Geleisen, eingebettet ins Idyll hellgrün bemalter Hügel.

Mindest 150 000 Franken habe man in die Anlage investiert, sagt Rolf Keller, Präsident des Clubs. Inflationsbereinigt dürfte es mehr sein, denn die Mitglieder basteln schon 42 Jahre daran.

Ein Teil der Anlage des Modelleisenbahnclubs Wittenbach-Kronbühl.

Ein Teil der Anlage des Modelleisenbahnclubs Wittenbach-Kronbühl.

Was aber ist faszinierend am «Bähneln»? So faszinierend, dass sich Männer bis ins hohe Alter damit vergnügen? «Es ist ein Virus», sagt ein Rentner. Einmal angefixt, könne man kaum loslassen. «Schon als Kind war ich von Modelleisenbahnen fasziniert.» Als junger Erwachsener seien ihm dann die Mädchen wichtiger gewesen als die Bahn. «Doch später hatte ich selber Buben, kaufte ihnen eine Eisenbahn und machte weiter.» So verlaufe das Leben vieler Modelleisenbähnler.

Vielen pflichten bei. Viele erinnern sich genau, wann sie das erste Mal eine Modelleisenbahn bestaunt haben. «Bei Franz Carl Weber in Zürich» – «Beim Vater eines Freundes» – «Opa hatte schon eine». Doch so gross die Faszination, so unterschiedlich ihr Ursprung. Manche Bähnler basteln einfach gern. Tagelang leimen sie künstliche Bäume auf Hänge aus Pappmaché. «Wir verwenden auch natürliche Materialien», sagt ein Mann. «Baumrinde zum Beispiel». Es sei ein schönes Gefühl, eine Welt zu schaffen, die der realen möglichst nahe komme.

Basteln kann man ewig: Eine Modelleisenbahnanlage ist nie fertig gebaut.

Basteln kann man ewig: Eine Modelleisenbahnanlage ist nie fertig gebaut.

Dann gibt es die Techniker. Cyrill Schäpper zum Beispiel. Er ist eines der fünf Club-Mitglieder, die unter 20 sind. Natürlich sei es auch für ihn faszinierend, die Wirklichkeit detailgetreu zu kopieren. Mehr als Grasflocken oder Gleisschotter in Salzkorngrösse interessieren den Konstrukteur aber Stromkreise und digitale Impulse. «Mittlerweile können wir den Lokomotiven über die Schienen verschiedene Signale senden.» Nicht nur das Tempo werde so gesteuert, sondern auch das Licht oder das Horn einer Lokomotive.

Während des Gesprächs kriecht Schäpper jäh unter die Anlage. «Eine Lok ist hängen geblieben im Schattenbahnhof unter St. Fiden.» Modellbahnanlagen haben Schattenbahnhöfe. Im Gebälk warten die Züge auf ihren Auftritt. «So können mehr Kompositionen auf einer Anlage fahren.»

Schliesslich gibt es noch die Sammler. Sie besuchen Tauschbörsen, Nachlassverkäufe und Internetseiten – auf der Suche nach dem Treibwagen ihrer Träume. Fragt man nach der Summe, die sie für Sammlerstücke aufwenden, antworten sie meist nur mit einer abweisenden Handbewegung und verdrehten Augen.

Der Bahnhof St.Fiden. Originalgetreu nachgebaut. (Bild: Urs Bucher)

Der Bahnhof St.Fiden. Originalgetreu nachgebaut. (Bild: Urs Bucher)

In der Welt der Modelleisenbahnen gibt es vieles. Was es aber kaum gibt, sind Frauen. Die 25 Mitglieder des Modelleisenbahnclubs Wittenbach-Kronbühl sind alles Männer. «Unsere Ehefrauen sind immer an den Festen dabei», sagt Präsident Rolf Keller. «Aber sie wollen nicht mit den Eisenbahnen spielen.»

Sich eine heile Welt zu basteln, in der man alleine entscheide, wann die Züge fahren – das habe schon seinen Reiz, sagt Keller. Doch viel wichtiger an diesem Hobby sei die Kameradschaft. «Wir bauen schliesslich immer gemeinsam.» Und das Beste am Ganzen: «Eine Anlage wird nie fertig.» Weiterbasteln könne man schliesslich immer.