Der Obdachlose von Arbon, der Knall an der HSG, ein Thurgauer Wirt, der zum Opfer seines eigenen Erfolges wird: Das zu Ende gehende Jahr hat zahlreiche regionale Schlagzeilen geschrieben. Unser Best of 2022.
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Wer den Begriff «obdachlos» hört, denkt vermutlich zunächst an Menschen, die in Grossstädten wie Paris oder London auf der Strasse leben. Doch auch bei uns, in der unmittelbaren Umgebung, gibt es Menschen, die kein Zuhause haben. Einen von ihnen porträtierte diese Zeitung im vergangenen Sommer: Dario (richtiger Name der Redaktion bekannt), der zu diesem Zeitpunkt in einem Keller in Arbon lebt.
«Ich will, dass anderen nicht passiert, was mir passiert – das ist kein Leben», sagt Dario. Nach einer schweren Jugend ist er in der Sozialhilfe gelandet, später bei der IV. Und ist schliesslich obdachlos geworden. Er stiehlt bei Denner oder in der Migros Essen und Parfüms, spielt Playstation, hat ein Sofa und eine Matratze. Er isst in der Regel kalt, und von Juni bis Ende August wäscht er sich im See.
«Dieses Verhalten schockiert mich sehr und liess uns keine andere Wahl, als sofort Massnahmen zu treffen»: Das sagt Bernhard Ehrenzeller, Rektor der HSG, am Freitag, 16. Dezember. Er und Bildungsdirektor Stefan Kölliker informieren über die vorläufige Freistellung zweier HSG-Professoren. Hintergrund: Ein Plagiatsforscher hat den Anfangsverdacht bestätigt, wonach BWL-Professor Lars Dinkel (Name geändert) bei seiner Habilitation plagiiert hat. Zudem soll er Bachelor- und Masterarbeiten von Studierenden als Erstautor publiziert haben. Darüber hinaus habe die Unileitung festgestellt, dass Professor Dinkel versucht habe, mögliche Beweise verschwinden zu lassen.
Die zweite Freistellung betrifft Habilitationsvater Herbert Künzle (Name ebenfalls geändert). Er führt mit dem des Plagiierens beschuldigten Professor als Co-Direktor das entsprechende Institut. Der Mann hat via Anwalt Drohungen gegen Studierende ausgesprochen. Zudem besteht laut Ehrenzeller «die Gefahr, dass eine sachliche Durchführung der Untersuchung gefährdet» sei.
Appenzellerland, Alpabfahrt, Alkohol: Diese Kombination sorgt Ende August schweizweit für Schlagzeilen. Auslöser: Ein Video, das stockbetrunkene Sennen beim «Öberefahre» zeigt:
In der Folge äussern sich Bauernvertreter, die Polizei und Appenzeller Touristiker öffentlich zum Fall, genauso wie Kollegen der Sennen. Besonders heftig fallen die Reaktionen auf Social Media aus. Die Kritik richtet sich aber an unterschiedliche Personen. Ins Visier geraten...
Für viele ist der Mann ein Pionier. In den 1980er-Jahren übernahm er im Toggenburg einen Hof und spezialisierte sich auf den Anbau seltener Obst- und Beerensorten. Immer waren auch Ferienkinder zugegen – zuletzt 2019. Nun stand der Biobauer und Tipi-Lagerleiter aus dem Neckertal, von vielen auch für seine progressive Pädagogik verehrt, wegen sexueller Handlungen mit Kindern vor Gericht. Ihm wurde vorgeworfen, Kindern während Filmabenden in die Hose gegriffen zu haben. Auch bei sogenannten «Zeckenkontrollen» soll der Mann übergriffig geworden sein.
«Es war eine Verleumdung»: Das sagte der Mann 2007, nachdem er wegen ähnlicher Vorwürfe freigesprochen worden war. Auch dieses Mal weist er, von der jahrzehntelangen Arbeit auf dem Hof und seiner Nervosität gezeichnet, jede Schuld von sich: Jemand anderes habe seinen Computer, auf dem verbotene Pornografie gefunden wurde, manipuliert. Auch die Vorwürfe wegen sexueller Handlungen mit Kindern weist er zurück. «Wenn ich auf das Betatschen von Kindern aus gewesen wäre, hätte ich bessere Chancen gehabt», sagt er.
Doch dieses Mal setzt es einen Schuldspruch ab wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind, mehrfacher Gewaltdarstellung und mehrfacher Pornografie. Der Mann wird zu 18 Monaten Freiheitsstrafe bedingt verurteilt – und kassiert ein lebenslanges Tätigkeitsverbot mit Kindern. Das Bild des gutmütigen Hünen, das er gegen aussen stets aufrechterhalten hatte – es hat mittlerweile viele Risse.
«Ich bin seit 24 Jahren selbstständiger Beizer. Habe immer alles gegeben, immer alle Wünsche der Gäste erfüllt. Jetzt brauche ich einfach eine Pause.» Roland König, Wirt im «Rössli» Oberhofen-Lengwil, kann nicht mehr. Im Juli macht er bekannt, dass er seine Beiz schliesst. Und zwar, weil sie so gut läuft. König ist zum Opfer seines Erfolges geworden.
Bis zu 110 Mahlzeiten pro Tag, Firmen- und Vereinsessen, Taufen, Konfirmationen, Geburtstage, Beerdigungen: Im «Rössli» ist dauernd etwas los. Das, was das Ziel jedes Wirtes sein müsste, wurde für Roland König zunehmend zum Albtraum: Der Druck für den Thurgauer Wirt wurde, vor allem auch verbunden mit dem Fachkräftemangel, zu gross.
Innert kürzester Zeit ereignen sich diesen Sommer im Alpstein zwei tödliche Unfälle. Und zwar praktisch an demselben Ort: zwischen Aescher und Seealpsee. Zunächst stürzt eine 66-jährige Frau 80 Meter in die Tiefe und stirbt; rund eine Stunde später verunfallt noch während der Bergungsarbeiten ein 58-Jähriger in demselben Bereich, auch er zieht sich tödliche Verletzungen zu.
Rund zwei Wochen später kommt es zum nächsten Drama: Eine Mutter und ihre fünfjährige Tochter stürzen auf dem Weg vom Aescher in Richtung Altenalp in den Tod. In der Folge beschäftigt sich der Bezirksrat Schwende-Rüte mit der Frage, ob die Wege rund um den Aescher ausgebaut werden sollen. Die Verantwortlichen winken schliesslich ab. Stattdessen sollen die Gäste besser über die Gefahren informiert werden.
Ein Dokumentarfilm des Schweizer Fernsehens sorgt schweizweit für Schlagzeilen: Ein Oberarzt der Klinik Littenheid glaubt daran, dass Satanisten in der Schweiz ihr Unwesen treiben. Sie würden rituell Menschen foltern, opfern und ihr Blut trinken, so die Überzeugung des Oberarztes. Der Mann therapiert Personen, die beispielsweise sexuellen Missbrauch erlebt haben. Georg Schmid, Religionsexperte und Mitarbeiter der Evangelischen Informationsstelle relinfo.ch, äussert sich sehr kritisch dazu: Durch solche Therapien würden bei den Betroffenen falsche Erinnerungen hervorgerufen.
Der Kanton Thurgau reagiert: Er ordnet eine externe Untersuchung der Zustände in Littenheid an. Diese kommt zum Schluss, dass die Verschwörungstheorie von der «rituellen satanischen Gewalt» in den Traumatherapie-Stationen der Clienia Littenheid vorhanden sei. In der Folge ergreift der Kanton aufsichtsrechtliche Massnahmen und entzieht einem Arzt die Bewilligung zur Berufsausübung.
Zusammenstellung: Daniel Walt