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Ostschweiz
Hinter Bruno Strässle liegt eine bewegte Vergangenheit. Heute ist der 55-jährige Arboner Sozialhilfeempfänger und leidet an epileptischen Anfällen. Die Spendenaktion «Ostschweizer helfen Ostschweizern» unterstützt ihn mit Geld für neue Winterschuhe und einen Fernseher.
«Wir haben Glück mit dem Wetter. Aber das kann sich hier schnell ändern», sagt Bruno Strässle in Richtung des Fotografen, ehe er sich für ein Bild auf ein Bänkchen setzt. Die Sonne scheint durch ein Loch im Wolkenmeer. Die Temperatur am Arboner Hafen liegt gerade noch so über dem Nullpunkt.
Zum Treffen kommt Strässle in einer alten Jacke und abgelaufenen Arbeitsschuhen. Bald wird er letztere ersetzen. Die Spendenaktion «Ostschweizer helfen Ostschweizern» unterstützt ihn mit Geld für neue Winterschuhe. Für Bruno Strässle sind solche kaum erschwinglich. Seit 2004 führt er mit Geld vom Sozialamt ein Leben nahe dem Existenzminimum. Gesundheitliche Gründe verunmöglichen dem gelernten Autospengler das Arbeiten.
Seit mehreren Jahren erleidet Bruno Strässle immer wieder epileptische Anfälle. Erinnern kann sich Strässle jeweils nur ans Aufwachen danach. Alles was zuvor passiert, erfährt er allenfalls im Nachhinein. Das letzte Mal sei er mitten auf der Hafenstrasse in Arbon zusammengebrochen. Etwas gezuckt habe er noch, dann sei er reglos dagelegen. «Ich erwachte, bevor der Krankenwagen da war. Ich wusste meinen eigenen Namen nicht mehr als man mich danach fragte.» Was dramatisch klingt, ist typisch für epileptische Anfälle. Die meisten dauern ein bis zwei Minuten. Der oder die Betroffene kann nach dem Anfall verwirrt sein. Einen Arzt braucht es normalerweise nur, wenn der Betroffene länger als drei Minuten zuckt, nicht mehr atmet oder zu Bewusstsein kommt oder eine schwere Verletzung erleidet.
Angst vor den Anfällen an sich hat Strässle keine. Wann «es» das nächste Mal so weit ist, weiss er aber nie. Der Arboner meidet aus diesem Grund Menschenmassen. «Ist ja momentan etwas leichter», sagt er augenzwinkernd. Der Gedanke, jederzeit vor anderen zusammenbrechen zu können, ist ihm unangenehm: «Man hat nachher oft das Gefühl, blöd angeschaut worden zu sein.»
Strässle ist auch darum am liebsten in seinen eigenen vier Wänden – das Haus verlässt er vor allem für ein obligatorisches Beschäftigungsprogramm. Zu Hause bietet ihm sein Fernseher Unterhaltung. Beispielsweise mit der Tagesschau. Vor kurzem ging sein alter Fernseher kaputt. «Ostschweizer helfen Ostschweizern» unterstützt ihn darum auch mit einem Geldbetrag für einen neuen Fernseher. Bereits hat Strässle sich ein neues Gerät ausgesucht.
Seine Ex-Frau schoss ihm das Geld für den neuen Fernseher vor. Trotz Trennung pflegt er ein gutes Verhältnis zu seiner ehemaligen Partnerin, die er im Alter von 24 Jahren heiratete. Weihnachten wird Strässle mit ihr feiern. Nach wie vor nennt Bruno Strässle sie «meine Frau», wenn er von ihr spricht. «Sie ist das beste, das mir ja passiert ist», sagt er noch heute. Getrennt hätten sich die beiden wegen finanzieller Differenzen. «Eigentlich schade.» Denn wegen ihr ist er vor rund 30 Jahren nach Arbon gezogen. Und wegen ihr entschied er sich, vom Heroin wegzukommen.
Strässle war als junger Erwachsener drogenabhängig. Darum nimmt er im Rahmen eines Programms noch heute Methadon zu sich: Ein Stoff in Form eines Sirups, der das körperliche Bedürfnis nach Heroin stillt. Vollständig clean zu werden und auch aus dem Methadon auszusteigen, würde ungefähr drei Jahre dauern, schätzt Strässle. Der Methadonentzug ist mit starken Entzugserscheinungen verbunden. Diesen Weg möchte Strässle nicht mehr antreten. Obwohl die IV ihm die Unterstützung versagt, weil er sich noch im Methadonprogramm befindet.
Bruno Strässle wuchs als eines von sieben Kindern in Eschlikon auf. Als er vier Jahre alt war, kamen beide seiner Eltern ums Leben. Er erhielt einen Vormund. «Ich war froh, als ich endlich ausziehen konnte», sagt Strässle. Seine Kindheit und seine Jugend könnten beim Griff zum Heroin schon eine Rolle gespielt haben, meint er, sagt aber auch:
«Nur meiner Kindheit die Schuld für meinen Drogenkonsum zu geben, will ich nicht. Ich habe die Drogen ja freiwillig genommen.»
Man sei selber verantwortlich für sein Handeln.
Es gäbe, noch mehr zu erzählen. Aber einige Dinge möchte der 55-Jährige lassen, wo sie sind: in der Vergangenheit. Und so macht sich Strässle langsam auf den Nachhauseweg. Einmal noch dreht er den Kopf in Richtung See und fragt: «Häsch gse?» Vor der Sonne ist es auf einen Schlag dunkel geworden.
Wie verhalte ich mich, wenn jemand vor mir einen epileptischen Anfall erleidet? Wann muss ich einen Arzt rufen? Antworten auf diese Fragen finden Sie hier: https://www.epi.ch/ueber-epilepsie/einstieg/erste-hilfe-bei-einem-anfall/
So können Sie spenden: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, «Ostschweizer helfen Ostschweizern» zu unterstützen. Weitere Informationen finden Sie hier.