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Es hätte gar nicht so weit kommen müssen, wenn die politischen Verantwortungsträger von Anfang an auf die kritischen Stimmen aus der Bevölkerung gehört hätten und auf die Bedenken eingegangen wären.
Es sieht nicht gut aus für das geplante Hochhaus in Steinach. 850 Unterschriften haben die Gegner gesammelt, damit die Bevölkerung am 28. November über die revidierte Ortsplanung abstimmen kann- und damit auch über eine so genannte Schwerpunktzone. Diese soll dem umstrittenen Projekt mit dem Namen «Terra Nova» baurechtlich den Weg ebnen. 850 Unterschriften sind viel in einer Gemeinde mit knapp 3'600 Einwohnern. Zumal Vertreter des Referendumskomitees sagen, sie hätten problemlos noch mehr Einwohner gegen die Pläne des Gemeinderates in Stellung bringen können. Der Unmut der Bevölkerung gegenüber dessen angeblichen Grossstadtallüren war Ende Oktober an der Orientierungsveranstaltung zur Ortsplanungs-Revision mit Händen zu greifen.
Es ist gut möglich oder sogar wahrscheinlich, dass die Steinacher den Hochhaus-Plänen an der Grenze zu Arbon am 28. November ein Ende bereiten werden. Damit wären 15 Jahre Arbeit für die Katz' gewesen. Was für eine Verschwendung von Zeit, Geld und Energie. Erschreckend an diesem Szenario ist die Tatsache, dass die Beteiligten 15 lange Jahre an ein Projekt geglaubt haben, ohne sich zu fragen, was wohl die Bevölkerung zu den Gedankenspielen sagen würde, die sich schliesslich zu einem 65 Meter hohen Gebäude ausgewachsen haben. Oder noch schlimmer: Sie haben sich die Frage gestellt, aber lagen mit der Antwort falsch. Oder sie dachten, die Sache liesse sich dann schon noch irgendwann irgendwie richten.
Das Problem: Es gibt bei solch komplexen Bauprojekten kein Frühwarnsystem. Umso grösser muss das Sensorium der politischen Verantwortungsträger für das Machbare sein. Warum um Gottes Willen ist nie jemand auf die Idee gekommen, bei einem so heiklen Thema in einem frühen Stadium die Steinacherinnen und Steinacher um ihre Meinung zu bitten? Kritische Stimmen gab es von Anfang an. HRS und die Gemeinde hätten sich damit unter Umständen sehr viel Mühe und Ausgaben ersparen können. Es ist ja nicht so, dass sich Teile der Bevölkerung jetzt plötzlich schwer mit «Terra Nova» tun. Ihre Vorbehalte sind ganz grundsätzlicher Natur: Sie finden schlicht und ergreifend, der vorgesehene Bauplatz an der Grenze zu Arbon sei in jeder Beziehung der falsche für ein Hochhaus. Für jedes Hochhaus. Punkt und Schluss. Die Details interessieren die Gegner gar nicht. Das ist heute so, und es war mit Sicherheit schon vor 15 Jahren so.
Erschreckend zu sehen ist auch, dass sich alle Gemeinderäte für «Terra Nova» einsetzen und in der Abstimmungsbroschüre dessen Vorteile für das Dorf in den höchsten Tönen preisen. Die Bevölkerung oder zumindest grosse Teile davon kann diese Vorteile aber nicht erkennen und bleibt skeptisch. Es ist der Behörde in wechselnder Zusammensetzung seit 2006 ganz offensichtlich nicht gelungen, bei den Steinacherinnen und Steinachern Verständnis für die wesentlichen Zusammenhänge zu schaffen. Heisst: Es geht nicht bloss um ein Hochhaus, sondern um die städtebauliche Entwicklung im Saurer WerkZwei und letztlich auch in Steinach. Ein Nein zur Ortsplanungs-Revision und damit auch zur Schwerpunktzone wird das Gesicht des Seedorfes ebenfalls verändern, einfach anders und später, aber möglicherweise nicht weniger tiefgreifend. Das Rad der Zeit lässt sich ebenso wenig aufhalten wie der vom Schweizer Stimmvolk verordnete Zwang zur inneren Verdichtung.
Die Behördenvertreter müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, über die Jahre viel zu wenig Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit geleistet zu haben. Der aktuelle Gemeinderat versucht jetzt zwar alles, um das bereits 2013 zum Wettbewerbssieger gekürte und öffentlich präsentierte Projekt ins richtige Licht zu rücken, um Boden gut zu machen. Der Erfolg hält sich aber in engen Grenzen - der Zug hat schon zu viel Fahrt aufgenommen. Wenn die Gegner öffentlich und unwidersprochen behaupten können, die Gemeinde lasse sich durch HRS mit einem Mehrzweckraum und Gratis-Land von fast 10'000 Quadratmetern Fläche bestechen, liegen die Versäumnisse aus der Vergangenheit offen zu Tage. Geben und Nehmen ist Teil des legalen Spiels, wenn es wie im Fall des Hochhauses darum geht, einen Gestaltungsplan auszuarbeiten, der sowohl dem Bauherrn als auch der öffentlichen Hand Vorteile bringen soll. Mit Korruption hat dieser Interessenausgleich absolut nichts zu tun.
Öffentliche Unterstützung in Form eines bezahlten Interviews erhält der Gemeinderat bis jetzt nur von der HRS, die genau gleich argumentiert wie die Behörde, was überhaupt nicht hilft, sondern im Gegenteil deren Glaubwürdigkeit schwächt, weil es auch genau umgekehrt sein könnte. Andere Befürworter schweigen, weil sie nicht zu widersprechen wagen. Zu gross ist offenbar die Angst, im Dorf unter die Räder zu kommen. Dabei wäre eine offene und breite Diskussion bitter nötig, für die es aber wahrscheinlich zu spät ist. Es lässt sich nicht in zwei Wochen nachholen, was während 15 Jahren verpasst worden ist. Sollte es am 28. November schief gehen, müssen sich die Beteiligten selber an der Nase nehmen. Das Volk hat immer recht. Wer es die längste Zeit nicht auf der Rechnung hat, darf sich nicht wundern, wenn diese am Schluss nicht aufgeht.