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TZ-Redaktorin Rahel Haag hat sich dieses Jahr von sämtlichen Weihnachtsfeiern abgemeldet und verzichtet bewusst darauf, das Fest der Liebe zu feiern. Wie es dazu kam.
Angefangen hat alles am 17. Oktober mit einer Nachricht der Schwester meines Freundes. Sie seien ab dem 24. Dezember in den Ferien, ob man die Weihnachtsfeier bei den Eltern nicht auf den 22. vorverlegen könnte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keinen einzigen Gedanken an Weihnachten verschwendet. Das Fest der Liebe ist für mich im Oktober ungefähr so weit entfernt wie der Mond. Aber gut, nun war die Büchse der Pandora geöffnet. Da gibt es ja dann jeweils auch kein Zurück mehr.
Grundsätzlich findet die Feier mit der Familie meines Freundes – bestehend aus seinen Eltern, der Schwester mit Mann und zwei Kindern im Alter von 11 und 13 Jahren sowie uns – jeweils am 25. statt. Die unorthodoxe Anfrage hat entsprechend leichte Hysterie ausgelöst. Die Eltern meines Freundes lehnten eine Vorverlegung strikt ab und auch meine bessere Hälfte war nicht gerade angetan von der Idee. Seine Meinung:
«Weihnachten feiert man an Weihnachten.»
Am Ende stellte sich heraus, dass die Familie der Schwester erst am 25. in die Ferien fährt und man einigte sich darauf, am 24. zu feiern. «Soll mir recht sein», dachte ich.
Doch neun Tage später traf ich meine Schwester und sie erzählte mir, dass sie über die Weihnachtsfeiertage mit ihrem Freund wegfahre. Dabei strahlte sie und sagte begeistert:
«Wir haben gemerkt, dass wir ja gar niemandem verpflichtet sind.»
Ich habe sie zu dieser Entscheidung beglückwünscht, denn – Sie ahnen es, seit Sie den Titel dieses Texts gelesen haben – ich bin kein Fan von Weihnachten. Woran das liegt? Schwierig zu sagen. Es fängt wohl damit an, dass mir beim Anblick eines Weihnachtsmarkts oder Christbaums nicht das Herz aufgeht.
Und es endet damit, dass es mich ärgert, dass einem von der Gesellschaft eingeredet wird, man habe als Mensch versagt, wenn man Weihnachten allein verbringt. Das wiederum führt nämlich teilweise dazu, dass ich in den vergangenen sechs Jahren insgesamt 17 mal Weihnachten feiern musste. (Ich benutze ganz bewusst das Verb müssen statt dürfen.)
Im Schnitt sind das drei Feiern pro Jahr: je eine mit meiner Mutter, meinem Vater und eben der Familie meines Freundes. Und glauben Sie nicht, ich wüsste nicht, dass es da draussen Menschen gibt, die noch mehr Feiern unter einen Hut bekommen müssen. Dass 17 Feiern in sechs Jahren für Menschen meines Alters, sprich Anfang 30, wohl eher die Regel als die Ausnahme sind, ist mir bewusst. Und ich hätte auch dieses Jahr meine Feiern ohne Murren abgespult, wäre beim Treffen mit meiner Schwester nicht dieser Satz gefallen. «Wir haben gemerkt, dass wir ja gar niemandem verpflichtet sind.»
Dieser Satz hatte etwas in Gang gesetzt. Ich fragte mich plötzlich: Wem bin ich denn eigentlich verpflichtet? Meine Eltern konnte ich getrost von der Liste streichen. Die Feier mit meinem Vater findet ohnehin nicht statt und meine Mutter hat ähnlich viel für Weihnachten übrig wie ihre beiden Töchter. (Ich glaube, ein Muster zu erkennen.)
Bleibt die Familie meines Freundes. Hier wird Weihnachten mehr Gewicht beigemessen – auch wegen der Kinder. Dass seine Eltern enttäuscht wären, sollte ich absagen, war mir klar. Gleichzeitig schien es die Gelegenheit auf ein weihnachtsfreies Jahr. Und ehrlich gesagt, machte mein Herz bei diesem Gedanken einen kleinen Gump.
Vielleicht schnappen Sie an dieser Stelle nach Luft und denken sich, ich hätte gar kein Herz. Doch, doch ich habe durchaus eins. Nur flüstert es heuer, ich solle mehr auf meine Bedürfnisse achten, statt auf jene meines Umfelds.
Meine ehemalige Mitbewohnerin, mit der ich zwei Adventszeiten lang in einer WG lebte, war nicht sonderlich überrascht, als ich ihr Anfang Dezember von meinen Verzichtsplänen erzählte. Geht es um Weihnachten nennt sie mich liebevoll «Grinch» – in Anlehnung an den Film «Der Grinch», in dem ein grünes, unsympathisches Wesen die Weihnachtsgeschenke eines ganzen Dorfs stiehlt, um das Fest zu verhindern.
So war es auch 2015 als sie ankündigte, in der WG einen Christbaum aufstellen zu wollen. Ich war dagegen. Der Aufwand sei zu gross und beim Raustragen gebe es eine Sauerei und überhaupt sei Weihnachten blöd. «Du Grinch», sagte sie nur, schien sich davon aber nicht weiter beeindrucken zu lassen. Etwa eine Woche vor Weihnachten stand noch keine Tanne in der Wohnung und ich fragte nach. Da sagte sie nur:
«Du willst ja keinen Christbaum und für mich allein lohnt sich der Aufwand wirklich nicht.»
Ich schluckte leer. Sie hatte sich so auf den Christbaum gefreut und ich hatte es verdorben. So knickte ich ein – wie der Grinch im Film, der die Geschenke am Ende wieder zurückgibt. Ich sagte ihr, sie solle ihre Schuhe und Jacke anziehen, wir würden jetzt eine Tanne kaufen gehen. Da strahlte sie fast noch mehr als am Ende der geschmückte Christbaum in der WG.
Aber eben: Dieses Jahr soll es um meine Bedürfnisse gehen.
Bei meiner Mutter fiel mir das Absagen nicht schwer. Bei einer Tasse Tee Ende November sagte ich, fast beiläufig:
«Du, eigentlich habe ich dieses Jahr keine Lust, Weihnachten zu feiern.»
Ihre Reaktion war sozusagen ein Schulterzucken. Wir könnten die Feier einfach absagen, meine Schwester sei ja auch nicht da. Gefolgt von einem: «Wir können uns ja dann mal im Januar zu einem Essen treffen.»
Der Mutter meines Freundes abzusagen, fiel mir weniger leicht. Am Donnerstag vor einer Woche rief ich sie an und erklärte ihr die Situation. Zuerst war sie irritiert und fragte, ob bei mir alles in Ordnung sei. Ja, es gehe mir gut, ich hätte nur keine Lust, Weihnachten zu feiern. Dann die für sie entscheidende Frage: «Aber Patrick kommt schon, oder?!» Dass mein Freund sich dem Verzicht anschliessen könnte, hatte nie zur Debatte gestanden. Sie war beruhigt, sagte aber noch:
«Es ist nur schade, weil wir euch doch sowieso so selten sehen.»
Wir sollten doch am Samstag zum Racletteessen vorbeikommen. Und so haben wir es dann auch gemacht.
Nun steht mir also ein weihnachtsfreies Feiertagswochenende bevor. «Und was machst du dann am 24.?», wollte mein Freund Anfang dieser Woche wissen. Ich zuckte mit den Schultern. «Es wird halt ein hundskommuner Freitagabend. Vielleicht nehme ich ein Bad, lese ein Buch oder schaue fern», sagte ich. «Wobei im Fernsehen ja wahrscheinlich doch nur blöde Weihnachtsfilme laufen.»