Familienmonitoring
Deutlich unter dem schweizerischen Durchschnitt: Entwicklungsbedarf bei Kinderbetreuung bleibt im Kanton St.Gallen gross

Im Jahr 2021 besuchen im Kanton St.Gallen rund 11'400 Kinder im Alter von null bis zwölf Jahren institutionelle Kinderbetreuungsangebote. Das sind rund 35 Prozent mehr als noch im Jahr 2016. Trotzdem liegen die Platzzahlen sowie die Anzahl betreuter Kinder weiterhin unter den schweizerischen Durchschnittswerten. Zwischen den Gemeinden gibt es grosse Unterschiede.

Pascal Keel
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Im Kanton St.Gallen existiert für 8 von 100 Kindern im Alter von null bis zwölf Jahren ein Betreuungsplatz.

Im Kanton St.Gallen existiert für 8 von 100 Kindern im Alter von null bis zwölf Jahren ein Betreuungsplatz.

Bild: Gaëtan Bally/Keystone

Um einen Überblick über die aktuelle Situation und deren Entwicklung zu haben, hat das Forschungsbüro Infras im Auftrag des Kantons St.Gallen im vergangenen Mai Daten bei Trägerschaften von Kindertagesstätten (Kitas), Schülerhorten, Schulträgern sowie Tagesfamilienorganisationen erhoben. Für eine qualitativ gute Betreuung von Kindern und zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei ein bedarfsgerechtes Angebot an familien- und schulergänzender Kinderbetreuung wichtig, heisst es in einer Medienmitteilung des Departements des Innern des Kantons St.Gallen. Im Rahmen des neuen «Runden Tisches Vereinbarkeit» würden nun weitere Massnahmen in diesem Bereich erarbeitet.

1700 Betreuungsplätze mehr seit 2016

Demnach gebe es im Kanton St.Gallen in der familien- und schulergänzenden Betreuung derzeit rund 5600 Plätze. Im Vergleich zur letzten Erhebung aus dem Jahr 2016 entspreche dies einem Zuwachs von 46 Prozent beziehungsweise rund 1700 Betreuungsplätzen. Im Vorschulbereich bestehen 2130, im Schulbereich 3300 und in Tagesfamilien 130 Plätze. Der Versorgungsgrad betrage neu acht Prozent (2016: sechs Prozent) – das heisst: im Kanton St.Gallen existiert für 8 von 100 Kindern im Alter von null bis zwölf Jahren ein Betreuungsplatz. St.Gallen liegt damit immer noch unter dem schweizerischen Durchschnitt (vorschulisch: 18 Prozent; schulisch: 13 Prozent).

Die Anzahl betreuter Kinder sei seit der letzten Erhebung angestiegen. Im Jahr 2021 nutzen rund 11'400 Kinder im Kanton St.Gallen familien- und schulergänzende Betreuungsangebote. Dies entspreche gegenüber dem Jahr 2016 einem Wachstum von 35 Prozent. Die Betreuungsquote liegt im Kanton St.Gallen bei rund 17 Prozent (schweizerischer Durchschnitt: 32 Prozent). Rund 17 von 100 Kindern im Alter von null bis zwölf Jahren werden somit familien- bzw. schulergänzend betreut.

Chompel Balok, stellvertretender Generalsekretär Departement des Innern.

Chompel Balok, stellvertretender Generalsekretär Departement des Innern.

Bild: PD

Wieso hinkt der Kanton St.Gallen im nationalen Vergleich nach wie vor hinterher? Chompel Balok, stellvertretender Generalsekretär des Departements des Innern des Kantons St.Gallen, sagt:

«Denkbar ist, dass in der Ostschweiz eher konservative Rollenbilder vorherrschen und die Drittbetreuung in vielen Fällen innerhalb der Familie geregelt wird.»

Ein weiterer Faktor seien die hohen Drittbetreuungskosten in der Ostschweiz. «Während die Westschweiz breit abgestützte Finanzierungsmodelle kennt, hat man in der Deutschschweiz nach wie vor eine geringe Beteiligung der öffentlichen Hand an der Finanzierung.» Dennoch stelle man fest, dass das Vertrauen in die familienergänzende Kinderbetreuung gestärkt werde, wenn ein qualitativ gutes Angebot in einer Gemeinde vorhanden sei. «Dadurch steigt die Nachfrage und das Angebot kann in der Regel in den Folgejahren vergrössert werden», so Balok.

Grosse Unterschiede zwischen Gemeinden

Der Versorgungsgrad im Vorschulbereich variiert laut Mitteilung je nach Gemeinde zwischen 0 und rund 20 Prozent. Im Schulbereich variiere der Versorgungsgrad zwischen 0 und rund 22 Prozent. Im Jahr 2016 sei der durchschnittliche Versorgungsgrad (Vorschul- und Schulbereich) noch in 23 Gemeinden unter einem Prozent gelegen. Im Jahr 2021 sei dies gemäss Bericht noch bei zehn Gemeinden der Fall. «Folglich konnte sich die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung vermehrt auch in kleineren und ländlichen Gemeinden etablieren, wenngleich die Unterschiede zwischen den Gemeinden weiterhin beachtlich sind», heisst es in der Mitteilung weiter.

Balok erklärt sich den tiefen Versorgungsgrad auf ländlichen Gebieten folgendermassen: «Die Gründung einer Kita erfolgt in den meisten Fällen auf private Initiative und ist mit einem finanziellen Risiko verbunden.» Bei kleineren Gemeinden sei dieses Risiko tendenziell grösser als in einer Stadt. Eine wichtige Rolle für Kita-Angebote spielten deshalb auch die Gemeinden und die Arbeitgebenden, die sich an den Kosten beteiligen oder eine geeignete Liegenschaft zu günstigen Mietkonditionen zur Verfügung stellen können.

Eltern müssen weiterhin für Grossteil der Betreuungskosten aufkommen

Wie schon im Jahr 2016 (63 Prozent) hätten auch im Jahr 2020 die Eltern den grössten Teil der Betreuungskosten (64 Prozent) im Vorschulbereich finanziert. Die Gemeinden tragen bei den Kindertagesstätten rund 29 Prozent, Firmen rund 5 Prozent und weitere Akteurinnen und Akteure 2 Prozent der Kosten. Seit dem Jahr 2016 habe sich dieses Verhältnis damit kaum geändert.

Das heisst: Die Beiträge der öffentlichen Hand hätten sich parallel zum Angebot entwickelt, es sei aber nicht zu einer vermehrten finanziellen Entlastung der Eltern gekommen. Ein wesentliches Element der Qualität eines Betreuungsangebots sei die Qualifikation des Personals. In Kindertagesstätten verfügt gemäss den erhobenen Daten ein grösserer Anteil, nämlich rund 52 Prozent des Personals, über eine abgeschlossene Ausbildung auf Tertiär- oder Sek-II-Stufe, in den Betreuungsangeboten der Schulträger sind es 35 Prozent. Der Rest sind Personen in Ausbildung sowie Betreuungspersonen ohne pädagogische Ausbildung.

Neuer «Runder Tisch Vereinbarkeit»

Die jüngsten Daten zur Kinderbetreuung wurden gemäss Mediencommuniqué kürzlich an der ersten Ausgabe des «Runden Tisches Vereinbarkeit» diskutiert. Dieses neue Austauschgefäss, das vom Departement des Innern koordiniert werde, bringe verschiedene Akteurinnen und Akteure von staatlicher und privater Seite zusammen (unter anderem Vertretende der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell (IHK), des kantonalen Gewerbeverbands, des Gewerkschaftsbunds, der Frauenzentrale, der in Gründung befindlichen Ostschweizer Sektion von Pro Familia sowie Vertretende der Gemeinden und des Schulbereichs). In mehreren Feldern sei dabei ein Handlungsbedarf erkannt worden.

Die Teilnehmenden des Runden Tisches hätten sich unter anderem bereit erklärt, kurz- und mittelfristig neue Massnahmen zur Sensibilisierung von Unternehmen zu planen, um damit die Bedürfnisse in den einzelnen Regionen beziehungsweise Gemeinden im Detail zu artikulieren und zu koordinieren. Im Weiteren sollen im kommenden Jahr im Rahmen des Runden Tisches Aspekte und Lösungen bezüglich der Kosten und der Finanzierung von Kinderbetreuungsangeboten breit und vertieft diskutiert werden.

Im 2026 folgt nächste Datenerhebung

Das diesjährige Monitoring zum familien- und schulergänzenden Betreuungsangebot im Kanton St.Gallen sei eine Massnahme aus dem Bericht 40.18.04 «Familien- und schulergänzende Kinderbetreuung im Kanton St.Gallen», der im Jahr 2018 dem Kantonsrat zugeleitet worden sei. Schon 2016 sei das Monitoring in ähnlichem Umfang durchgeführt worden. «Damit wird ein umfassendes Bild des bestehenden Angebots und dessen Entwicklung möglich», so der Wortlaut der Medienmitteilung.

Im Jahr 2026 soll das Monitoring aktualisiert werden. Dabei würden sich auch die Auswirkungen der kürzlich erfolgten bzw. noch zu erfolgenden Anpassungen der rechtlichen Rahmenbedingungen zeigen: Zum einen würden die kantonalen Fördergelder an die Gemeinden aus dem seit 2021 in Vollzug stehenden Kinderbetreuungsgesetz und zum anderen die im Auftrag des Kantonsrates zu schaffende Gesetzesgrundlage für ein bedarfsgerechtes schulisches Tagesstrukturangebot die Entwicklung des Betreuungsangebots beeinflussen.

Der Bericht «Monitoring familien- und schulergänzendes Betreuungsangebot im Kanton St.Gallen» ist auf der Website des Amts für Soziales zu finden.