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Ex-Wirtschaftsredaktor und nun Weltreisender Thomas Schlittler ist diese Woche in Albanien unterwegs. Auf dem Balkan haben die verschiedenen Volksgruppen Ressentiments gegeneinander. Aber eines teilen sie alle: Sie können Zigeuner nicht ausstehen.
In Serbien und Montenegro warnen mich meine Fahrer vor Albanern, in Bosnien-Herzegowina vor Serben, Kroaten oder Bosniaken – je nachdem, zu welcher Volksgruppe sie selbst gehören. Nur eine Gemeinsamkeit gibt es in allen Ländern: Die Abneigung gegenüber Zigeunern (die ich in diesem Artikel bewusst nicht Sinti und Roma nenne).
Alle bisherigen Berichte von Thomas Schlittlers Reise per Autostopp um die Welt finden Sie hier.
Ich widerspreche jeder rassistischen Äusserung, egal, welche Ethnie sie betrifft. Ich versuche, das Gegenüber davon zu überzeugen, dass es überall gute (und schlechte) Menschen gibt. Am besten geht das, indem ich von einer schönen Begegnung mit einem Angehörigen der verhassten Volksgruppe erzähle.
Doch Zigeuner habe ich bis jetzt nie persönlich kennengelernt. Dementsprechend konnte ich auch nie mit einer persönlichen Geschichte dagegenhalten, wenn jemand Zigeuner pauschal verunglimpfte. Seit ich bei Zarko ins Auto gestiegen bin, ist das anders.
Zarko will mich eigentlich nach fünf Kilometern wieder absetzen, weil er in eine andere Richtung muss. Doch dann lädt er mich kurzentschlossen zum Kaffee ein. Mit seinen pechschwarzen Haaren, dem Vollbart und dem dunklen Teint unterscheidet sich der 30-Jährige deutlich von den anderen Bewohnern der montenegrinischen Küstenregion. Deshalb frage ich ihn nach seinen Wurzeln. „Ich bin Zigeuner“, sagt er, und nimmt das tabuisierte Wort ganz selbstverständlich in den Mund. Dabei schaut er mir ins Gesicht, um zu sehen, was diese Antwort bei mir auslöst.
Ich kann meine Überraschung nicht ganz verbergen, sage aber schnell: „Cool, seit Rumänien flucht jeder dritte Fahrer über Zigeuner, da habe ich gehofft, mal von einem tollen Zigeuner mitgenommen zu werden.“ Und füge an: „Apropos Zigeuner – empfindest du es nicht als Beleidigung, wenn man dich so nennt?“ Er schüttelt den Kopf: „Nein, das Wort Zigeuner ist für mich grundsätzlich nicht beleidigend. Es kommt nur darauf an, wie man es sagt.“
Wir entscheiden, dass Bier besser passt als Kaffee, und reden über die Spannungen auf dem Balkan, über Religion, über das Privileg, in einem reichen Land geboren zu werden. Ich interessiere mich aber vor allem für Zarko. Wer ist dieser Mann, mit dem ich mich unterhalte, als würden wir uns schon jahrelang kennen?