In Zürich ist ein Bodybuilder aus dem Fenster eines Bordells gestürzt und gestorben. Die Umstände, die zum Drama führten, sind noch nicht restlos geklärt. Wie auch immer die Umstände aussehen mögen – in jener Nacht endete auf dem Pflaster gewiss kein glückliches Leben. Widmen wir dem unglücklichen Mann einige Gedanken. Zu spät für ihn – nicht zu spät für Konfuse, die noch leben.
Warum gibt es keinen «Rambo»-Fortsetzungsfilm mit einem solchen Ende: Der Muskelmann, nachdem er so hart wie immer trainiert hatte für den Showdown seines Lebens, für den endgültigen Sieg, taumelt irgendwann gegen ein Fenster, fällt und liegt im nächsten Augenblick zerschmettert auf der Strasse. Das banale Ende wäre wahrer.
Und «Rambo» die richtige Figur. Auch «Rocky», «Terminator» oder «Conan». Sie alle führen den Kult aus einem anderen Film weiter: «Eisen pumpen» («Pumping Iron») aus den Siebzigerjahren. Darin sagt ein Muskelprotz beim Training: «Es ist, als würde jemand Luft in deinen Muskel pumpen. Es fühlt sich fantastisch an.»
Wie fantastisch, sagt im gleichen Film der Grossvater aller Bodybuilder, Arnold Schwarzenegger: «Wie mit einer Frau Sex zu haben und zu kommen.» Worauf der Mägerlimucki natürlich sofort fragt, sträflich naiv: Und warum liegt der Bodybuilder nicht romantisch neben der Frau, statt solo auf dem Streckbett, mit Stahl und Hanteln?
In der Seele ist es umgekehrt: Da sind die Athleten mager, geradezu magersüchtig. Klingt paradox, hat aber offenbar seine Logik. Muskeln pumpen und magern bis auf den Tod seien Kehrseiten des Gleichen. Darauf wiesen Harrison Pope und Roberto Olivardia hin, zwei Harvard-Psychologen.
«Es fällt den Leuten schwer», sagt Olivardia, «Mitzufühlen mit einem bärenstarken 110-Kilo-Mann. Obwohl er die gleichen Leiden durchläuft wie ein Magersüchtiger.» Aufgepumpte Muskeln kennen, wider alle Illusion, kein Crescendo, kein sinnenfrohes. Das Verlangen findet nie Frieden, treibt nur weiter, Fleisch noch monströser aufzublasen. Das Selbstwertgefühl fällt, die Sucht besetzt jeden Raum im Gefühl und Kopf. Freundschaften platzen, Ehen verkümmern. Der Master of the Universe, voller Kraft und Saft, schleicht herum wie ein Schatten.
Im Internet, in einschlägigen Foren, fanden wir die Bitte: «Ich betreibe Bodybuilding auf Amateur-Wettkampfniveau und musste mich deswegen vom Alkohol verabschieden. Ersatz muss her. Ich bin noch jung und will auf krasse Partynächte nicht verzichten.
Von Natur aus eher schüchtern, soll die Ersatzdroge vor allem: enthemmen, helfen, rede- und kontaktfreudig zu werden, moderat Euphorie auslösen. Da ich trainingsbedingt diverse Substanzen konsumiere, kommt keine Droge infrage, die den Herzschlag treibt. Suchtgefahr ist absolut kein Kriterium: Sechs Mal die Woche trainiere ich eisenhart und besitze volle mentale Disziplin.»
Natürlich ist das Anschauungstext für lupenreine Bodybuilder-Selbsthypnose. Hier steht einer bereits nahe an der Fensterbrüstung zu Giftschlünden jedwelcher Art; er will ins Dunkle segeln. Auch Kultfiguren wie Schwarzenegger und Silvester Stallone haben zugegeben, anabole Steroide konsumiert zu haben. Für den jungen Mann könnte es längst zu spät sein.
Bodybuilding ist nicht zu lösen von der Moderne, von der amerikanischen Moderne. Dass Bodybuilding in archaisch geprägten Bergtälern des Südens entstehen würde, auf Grönland oder Polynesien, ist undenkbar. Es braucht einen gegenwärtigen Stich von Narzissmus und Verzweiflung, es braucht ein spezifisches Mode- und Mediengebläse, um Süchte zu wecken und zu schüren, die sich zwar von griechischen Göttern herleiten (Adonis), aber sozusagen nur den Plastikabguss der Göttergestalt ausbilden.
Das können inzwischen auch Leinwandgötter sein. Oder auf dem Computer entstandene Figuren wie Avatare. Die Faszination von Bodybuilding, sagen Kenner der Szene, nehme langsam ab. Die Faszination hingegen, Körper und Gesicht nach einer Idee oder einem Idol zu formen, mitnichten. Diese Woche hat sich offenbar ein junger Geblendeter in den USA das Gesicht chirurgisch so modellieren lassen, dass er jetzt einem Avatar gleicht.
Glücklich darüber war er nur kurz. Jetzt brennt er darauf, seine un-avatarischen Genitalien entfernen zu lassen. Das erinnert an einen Amerikaner, der sich vor über vierzig Jahren das Gesicht hatte so zurechtschnipseln lassen, dass er Jim Croce glich, einem Singer/Songwriter, längst gestorben, den heute kaum mehr jemand kennt. Der Croce-Doppelgänger könnte durchaus noch leben, mit einem Gesicht, das jede Bedeutung verloren hat, während er das eigene vermisst.
Der deutsche Kunsthistoriker Jörg Scheller, selber Bodybuilder, sagte vor einem Jahr (im «Tages-Anzeiger»): «Der Subtext der gesamten westlichen Moderne ist auch die Grundbotschaft des Bodybuildings: Arbeite an dir! Und dann: Lerne mit dem unausweichlichen Scheitern umzugehen. Denn am Ende kommt etwas sehr Unoriginelles dabei heraus.»