«Jung & Alt»-Kolumne
Alle weissen Menschen sind Rassisten

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 27. Diese Woche sagt der Titel schon alles.

Samantha Zaugg
Samantha Zaugg
Drucken
So viele weisse Menschen. Und sie alle sind rassistisch. Glauben Sie nicht? Dann lesen sie den Text.

So viele weisse Menschen. Und sie alle sind rassistisch. Glauben Sie nicht? Dann lesen sie den Text.

Bild: Keystone

Lieber Ludwig

ich wäre gern mit einem anderen Thema weitergefahren. Aber sieht so aus, als müsste ich nochmals auf Rassismus reagieren.

Zu Beginn ein ungemütlicher Fakt: Wir weisse Menschen sind alle Rassistinnen. Wirklich alle. Ja, ich auch. Und zwar nicht deshalb, weil ich diskriminierende Begriffe benutze oder weil ich der Meinung bin, dass nicht alle Menschen gleich viel wert sind. Sondern einfach deshalb, weil es rassistische Strukturen gibt und ich von denen profitiere. Nicht schön, sich das einzugestehen. Aber notwendig. Denn nur durch das Anerkennen von Missständen kann man beginnen, sie zu verändern.

Ich glaube, das ist etwas, was jüngere Menschen erkannt haben: dass wir Teil eines Ganzen sind, Teil eines Systems. Dass es Strukturen und Machtverhältnisse gibt, die über dem Individuum stehen. Dieser Gedanke scheint euch Alten fremd zu sein. Ihr, die mit der Vorstellung von Meritokratie aufgewachsen seid. Dass alles gut kommt, wenn man sich nur genug anstrengt. Dass jede des eigenen Glückes Schmiedin ist.

Zurück zum Thema: Wenn es um Rassismus geht, haben wir Weissen den Reflex, zu sagen: Ja ja, das ist alles schlimm. Aber ich bin ja nicht rassistisch. Ich achte auf meine Sprache und mir ist Hautfarbe egal. Es gibt zwar Rassisten, aber ich bin hier ganz sicher nicht das Problem.

Diese Reaktion ist verkürzt und auch ignorant. Denn jedes Mal, wenn ich mich als Individuum aus der Affäre ziehe, stelle ich mein eigenes, vorübergehendes Wohlbefinden über die schmerzhaften Erfahrungen, die People of Colour ihr ganzes Leben begleiten. Weil es mir in diesem Moment, in dem über ein Thema gesprochen wird, wichtiger ist, mich als Person von negativen Gefühlen zu entlasten. Statt die unbequeme Realität auszuhalten. Anzuerkennen, dass ich von Strukturen profitiere, die andere Menschen und ihre Bedürfnisse unterdrücken.

Wir weissen Menschen haben diese egozentrische Perspektive, weil wir es uns gewohnt sind, als Individuum wahrgenommen zu werden. Weil es uns wichtiger ist, selbst gut dazustehen und das über den kollektiven Schmerz einer ganzen Gruppe zu stellen. Du siehst, ich bin einigermassen genervt vom Thema. Weil ich finde, wir Weissen sorgen mit unserer Borniertheit dafür, dass sich die Diskussion nicht entwickelt, dass wir am Ort treten. Das Gleiche gilt übrigens für Sexismus, Ableismus und andere Formen von Diskriminierung. Und nein, weisse Menschen können nicht rassistisch diskriminiert werden. Genauso wie Männer nicht von Sexismus betroffen sein können.

Jetzt ist es raus. Anstrengend! Aber wo wir schon dabei sind: Wollen wir uns den Rundumschlag geben? Fühlst du dich diskriminiert von der Diskussion um den alten weissen Mann?

Samantha

Weitere Episoden dieser Kolumne finden Sie hier: