Abschied
Die letzte Pointe: Patti Basler sagt Adieu

Das Heiligste einiger Leser und Leserinnen hat sie beleidigt, viele dürften sie doch vermissen. Dies ist Patti Baslers vorläufig letzte Kolumne für diese Zeitung.

Patti Basler
Patti Basler
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Patti Baslerist Satirikerin, Autorin und Slampoetin.

Patti Baslerist Satirikerin, Autorin und Slampoetin.

Christian Beutler / KEYSTONE

Liebe Leserinnen und Leser,

wir sind im Jahr 2022 angekommen, oder wie ich es nenne: «Die dritte Chance für das Jahr 2020». Es ist ein zähes Ringen mit Masken und Massnahmen, mit Lockdowns und Lockerungen. Die Zeit vergeht in der Pandemie paradoxerweise viel zu schnell, ohne dass etwas Relevantes zu passieren scheint, ein langweiliges Dahintreiben, «The Boring Twenties». Als willkommene Abwechslung in diesen masturbösen Homeoffice-Zeiten begrüsse ich das Lesen, mehr noch das Schreiben von Texten wie dieser Kolumne. Es ist vorläufig meine letzte in dieser Zeitung.

Meine Worte erreichten eine Bauernstube im Luzerner Hinterland, das Wartezimmer einer Appenzeller Naturheilpraxis, den Briefkasten einer St. Galler Flötenlehrerin. Man konnte meine Kolumne lesen im Zug nach Zug, obwohl man dort eher Auto fährt, grosse SUVs mit kleinem Steuerfuss. So will es zumindest das Klischee, welches wir Kabarettistinnen gerne bedienen.

Der Text landete in der Praxis eines Baselbieter Zahnarztes, der ein bekennender Tennis-Fan ist. Ein Verehrer jenes serbischen Stars, welchen ich bereits seit seiner Adria-Superspreader-Tour im Juni 2020 nur noch «Novax Djocovid» nenne.

Im Thurgau fanden meine Zeilen sich im Milchkasten des jungen Mannes, welcher sich am Telefon nur noch auf Hochdeutsch anmeldet, weil sein Name «Lukas Schenker» im indigenen Dialekt zu sehr nach «Lukaschenko» klingt.

Die Kolumne wurde in einem Lehrerzimmer in Nidwalden gelesen, wo erstmals flächendeckend der Lehrplan 21 eingeführt worden war – wobei einige munkeln, dies sei in Nidwalden wohl der erste Lehrplan überhaupt gewesen.

Sie erschien im literarischen Kanton Solothurn, welcher mit seinen krakenhaften Seitenarmen auf der Enklaviatur seiner Nachbarkantone spielt.

Ich habe für und über meinen Heimatkanton Aargau geschrieben, der aussieht wie ein geköpftes Poulet, vier Himmelsrichtungen, zwei Landesreligionen, ein Dialektgemisch wie ein fades Sandwich vom Fressbalken, ein Jasskartengraben, der die Gesellschaft mehr spaltet als eine Freiheitstrychler-Demo.

Viele lasen die Texte aus Prinzip nicht, denn sie vermuteten als Autorin eine links-grün versiffte Femi-Nazi-Sozi-Fotzelschnitte, die ihnen die Welt erklären wolle. Ein besserwisserischer alter weisser Mann, gefangen im Körper einer Frau.

Es hagelte zustimmende Kommentare und vernichtende Kritik, Verständnislosigkeit darüber, dass sich hier jemand schreibend über alles lustig macht, über Heiteres und Heiliges, über Mehrbessere und Mächtige, über Maria und Martullo. «Wie kann sie nur?», wurde gefragt, «wie kann sie nur so respektlos sein?»

Ein wütender Bauer rief mich an, eine enttäuschte Lehrerin schrieb mir, ein verbitterter älterer Mann schickte ein Mail mit mehr Verwünschungen als in den gesammelten Märchen der Gebrüder Grimm. Sie fühlten sich betroffen und wahrscheinlich waren sie es auch. Ihr Heiligstes habe ich beleidigt, ihre Arbeitgeberin verspottet, ihr politisches Idol hinterfragt. Mit diesen Menschen entwickelte sich oft ein verbaler Schlagabtausch oder sogar eine Brieffreundschaft, die meist mit einem versöhnlichen Ton endete.

Ich werde weiterhin den Grossen und Mächtigen, dem Unberechenbaren und Ungerechten gepflegt den verbalen Mittelfinger zeigen. Dies ist meine Aufgabe als Satirikerin. Ist die Lage hoffnungslos, dann ist sie auf keinen Fall ernst. Je dramatischer eine Situation, desto grösser ist ihr satirisches Potenzial. Nie wird befreiter gelacht als an Beerdigungen oder nach der einzigen Schlusspointe bei Reden von Ex-Bundesrat Schneider-Ammann, welche einer Beerdigung erschreckend nahe kommen. Mit Kunst, Kultur und Humor können wir das Leben verarbeiten und Distanz gewinnen. Ein Anschreiben gegen die eigene Vergänglichkeit und letztlich das Verspotten von Gevatter Tod.

Am Anfang war das Wort. Und am Schluss die letzte Pointe. Ich wünsche Ihnen alles Gute.