Ein Polizist wollte sich vor Gericht dagegen wehren, wegen Amtsgeheimnisverletzung bestraft zu werden – im letzten Moment machte er aber einen Rückzieher. Damit ist die Sache aber nicht zu Ende. Denn der Richter wird Ermittlungen gegen die Ex-Freundin des Polizisten einleiten.
Es geht um eine gemeingefährliche alte Frau, die immer wieder in andere Verkehrsteilnehmer reinknallt, um explodierende Briefkästen, um einen Suizidversuch und eine verflossene Liebe.
«Es ist eine menschliche Tragödie»,
sagt der Beschuldigte. Der Schweizer aus dem Limmattal, etwas mehr als 60 Jahre alt, hat jahrzehntelang bei der Stadtpolizei Zürich gearbeitet.
Dann kam das Jahr 2014. Ein Verkehrsunfall im Limmattal. Eine ältere Autofahrerin schiesst in einem Kreisel eine Velofahrerin ab, diese fällt zu Boden und verletzt sich.
«Daraus entwickelte sich dann ein riesiger Rattenschwanz»,
sagt der Beschuldigte. Denn wegen der Folgen des Unfalls konnte das Opfer nicht mehr in ihrem angestammten Beruf arbeiten. Zudem zog sie gegen die Haftpflichtversicherung der Unfallverursacherin vor Gericht, da diese nicht zahlen wollte.
So erhoffte sie sich Hilfe von einem, der Zeit seines Lebens für Recht und Ordnung sorgte. Also ging sie auf einen Mann in ihrem Dorf zu, von dem sie wusste, dass er Polizist war. Stadtpolizist in Zürich, genauer gesagt. «Ich habe ihr geholfen, den Rekurs ans Versicherungsgericht zu schreiben», sagte der Limmattaler am Mittwoch vor Gericht.
Aus der Hilfe wurde mehr, man traf sich nochmal und nochmal. Schmetterlinge im Bauch und Zusammenzug in die gleiche Wohnung.
Gut drei Monate nach dem verhängnisvollen Unfall beschaffte sich der Stadtpolizist im Polizei-Informationssystem Polis den Polizeirapport zum Unfall, obwohl er beruflicht nichts damit zu tun hatte, und druckte ihn aus, um ihn der Frau zu zeigen.
«Die Schnüfflerei im Polis hatte ich in ihrem Auftrag gemacht»,
sagte der Mann vor Gericht. Spannendes kam hervor: Eine Polizistin hatte bereits zwei Jahre zuvor einen Rapport über die alte Frau geschrieben, mit dem Ziel, dass deren Fahrtauglichkeit geprüft wird. Und: Ein halbes Jahr nach dem Unfall beim Kreisel hatte die alte Frau offenbar wieder einen Unfall.
2018 dann ein anderes Kapitel. Jemand brachte an mehreren Stellen im Dorf Zettel an, auf denen er einem Mann ausländischer Herkunft drohte. Dieser sei ein «Verbrecher» und es werde bald etwas passieren. Der fragliche Mann wohnte ganz in der Nähe der Freundin des Polizisten. Kurzer Blick ins Polis: Der Herr hatte tatsächlich einiges auf dem Kerbholz, darunter Ladendiebstahl und Gefährdung des Lebens. Der Polizist durfte sich diesen Polizeirapport zwar anschauen. Aber auch hier machte er wieder den Fehler, den Rapport auszudrucken und nach Hause zu nehmen, um ihn der Frau zu zeigen. Eines Tages explodierten dann übrigens die Briefkästen des Wohngebäudes, in dem der erwähnte «Verbrecher» wohnte. Die Drohungen waren also mehr als nur ein Lausbubenstreich.
Die Freundin des Polizisten hatte inzwischen eine neue Arbeitsstelle gefunden. Als sie dann das Gerücht hörte, dass ihr neuer Chef einmal versucht haben soll, sich umzubringen, erzählte sie dies dem Polizisten. Und der öffnete wieder das Polis. Die Geschichte mit dem Suizidversuch war wahr, und das sagte der Polizist dann auch seiner Freundin.
– Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: 143
– Beratungstelefon von Pro Juventute
(für Kinder und Jugendliche): 147
– Weitere Adressen und Informationen gibt es unter: www.reden-kann-retten.ch
Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben:
– Refugium – Verein für Hinterbliebene nach Suizid: www.verein-refugium.ch
– Nebelmeer – Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils: www.nebelmeer.net
Die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis verurteilte den Mann zu einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 130 Franken. Dazu kam eine unbedingte Busse von 3000 Franken sowie 800 Franken Verfahrenskosten.
«Dieses Strafmass ist extrem hoch»,
findet der Polizist. Darum wehrte er sich mit einer Einsprache gegen den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft. Vor Gericht erklärte er zudem, dass die ganze Sache «ein Racheakt» seiner Ex-Freundin sei. Sie soll ihn wegen Amtsgeheimnisverletzung angezeigt haben, nachdem sie erfolglos Geld von ihm verlangte, als er aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen war. Er sagt dazu:
«Ich machte das alles für sie und jetzt haut sie mich in die Pfanne.»
Bezirksrichter Benedikt Hoffmann machte den Polizisten ausser Dienst darauf aufmerksam, dass er die Einsprache gegen den Strafbefehl zurückziehen könne – gerade auch in Anbetracht dessen, dass der Strafbefehl verhältnismässig milde gewesen sei und ein Gerichtsurteil richtig teuer werden könnte. Nach kurzer Überlegung zog der Ex-Polizist seine Einsprache zurück. So muss er nun nur etwa 200 statt 900 Franken Gerichtsgebühr zahlen. Die bedingte Geldstrafe, die Busse und die Vorverfahrenskosten bleiben.
Als die Sache erledigt war, wies Richter Hoffmann noch darauf hin, dass das Gericht von Amtes wegen verpflichtet sei, ein Delikt wie zum Beispiel eine Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung zu melden. Und:
«Wir als Gericht werden schauen, dass wir unserer Amtspflicht nachkommen.»
Das heisst: Der «Rattenschwanz» wird noch länger, die Ex-Freundin des Polizisten wird voraussichtlich wegen Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung angezeigt.
Ob das das letzte Kapitel in dieser langjährigen Lovestory wird, muss offenbleiben. Klar ist: Ein Happy End gibt es hier keines mehr.