Coronavirus
Wieder vereint: Herr Aerni kann seine Frau trotz Corona im Altersheim besuchen – mit Einschränkungen

Herr Aerni darf trotz Corona seine Frau wieder im Heim in Breitenbach SO besuchen, eine Holzbox mit Glasscheibe gibt ein Stück Normalität zurück.

Anna Miller
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Besuch im Altersheim Passwang zu Corona-Zeiten
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In dieser Kontaktbox können Angehörige des Altersheimes während der Corona-Zeit ihre Lieben besuchen.
Lorenz Aerni und seine Frau Verena im Gespräch in der Kontaktbox.
Über dieses Telefon wird kommuniziert
Roland Aerni zeigt seiner Frau einen Brief durch die Glasscheibe, die sie voneinander trennt.
Roland Aerni mit dem Telefon.

Besuch im Altersheim Passwang zu Corona-Zeiten

Sandra Ardizzone

Herr Aerni ist 77 Jahre alt, seit 39 Jahren liebt er seine Verena, letzte Woche war Hochzeitstag, doch er war nicht da. Er durfte nicht zu ihr, ins Pflegeheim Passwang in Breitenbach im Kanton Solothurn, weil das im Moment nicht geht. Seit 1,5 Jahren ist Verena dement, Alzheimer, bereits im schweren Stadium, zu Hause ging es nicht mehr, die Spitex kam an ihre Grenzen.

Im Pflegeheim geht es ihr gut, und wenn er sie besucht, dann lacht sie und wenn er sie berührt, dann merkt sie, dass da jemand ist, vielleicht merkt sie sogar, dass er es ist. Bis vor einem Monat zumindest, als Berührung noch ging. Vor bald einem Monat hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Besuche von Familie, Freunden und Bekannten in Institutionen wie Alters- und Pflegeheimen sowie Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen verboten.

Fast die Hälfte der über 80-jährigen Menschen in der Schweiz leben in Alters- oder Pflegeheimen. Für Tausende alte Menschen ist keinen Besuch erhalten zur Regel geworden, und eine drohende soziale Isolation, die auch sonst im Alter Thema wird, hat sich akzentuiert.

«Wir tun alles Mögliche, um unseren Bewohnern die Zeit der Isolation so erträglich wie möglich zu machen», sagt Steven Weill, Leiter des Regionalen Altersheims Unteres Aaretal. Er sei erstaunt, wie viele von ihnen die Situation gelassen aufnehmen und gut durch die Krise kommen. Und wie gut auch die digitalen Kontaktmöglichkeiten bei den Leuten ankommen.

«Wir haben nun Videotelefonie und Online-Konzerte im Programm, daran haben unsere Klientinnen und Klienten grosse Freude», sagt Weill. Doch für einige ist die Lage schwierig, die Einsamkeit kaum auszuhalten. Vor ein paar Wochen noch, bevor das Verbot kam, äusserte sich Weill besorgt über die drohende Kontaktsperre, sorgte sich um die mentale und körperliche Gesundheit der älteren Menschen.

Denn Studien zeigen schon seit Jahren auf, dass chronische Einsamkeit so gefährlich sein kann wie 15 Zigaretten am Tag – sie erhöht gar die Sterblichkeit. «Dauert diese Zeit der Isolation noch sehr lange an, kann das für ältere Menschen gefährlich werden», sagt auch Peter Burri von Pro Senectute. Der Mensch sei ein soziales Wesen und brauche den Kontakt. Virtuelle Kontaktmöglichkeiten ersetzen keine Berührung.

Die digitale Welt bot keinen Ausweg

Dabei gehören die Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegezentren in der Schweiz noch zu den Glücklicheren, weil sie zusammen mit anderen Menschen wohnen, sozialen Kontakt spüren, Pfleger und Leiterinnen um sich herum haben, die sensibilisiert sind auf die Bedürfnisse von älteren Menschen. Und in diesen Zeiten noch mehr versuchen als sonst, in Kontakt zu treten, Beziehung aufzubauen, für Abwechslung zu sorgen.

Bei Verena, der dementen Ehefrau von Herrn Aerni, haben die digitalen Möglichkeiten keinen Nutzen gebracht, haben sie nur noch stärker verwirrt. Bei einigen dementen Personen bewirken die digitalen Bilder und Stimmen nichts, weil sie sich den Menschen dahinter nicht vorstellen können. Deshalb sei es so wichtig, dass er seine Verena sehen könne, sagt Herr Aerni. Und sie ihn.

Seit ein paar Tagen ist das, eingeschränkt, wieder möglich. Das Pflegeheim Passwang in Breitenbach hat, inspiriert durch eine andere Institution im Thurgau, eine Holzbox aufgestellt, in der sich Bewohner und Besucher, getrennt über eine Glasscheibe, immerhin gegenübersitzen können. «Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht», sagt Heimleiter Michael Rosenberg.

Rund zehn Besuche können so jeden Tag stattfinden. Das Gespräch sei natürlich einseitig, sagt Herr Aerni, er stelle einfache Fragen, und manchmal sage seine Frau etwas. Viel kommt nicht mehr, von ihr, sie ist zu weit weg, in ihrer eigenen Welt. Und doch hat sich Herr Aerni zur Aufgabe gemacht, ihre Zeit, die sie noch auf Erden hat, so schön und lebendig wie möglich zu gestalten, sich um sie zu sorgen, ihr zu verstehen zu geben: Du bist nicht allein. Nun ziehen immer mehr Heime nach: Auch das Pflegezentrum Sonnenberg in Affoltern am Albis hat ein sogenanntes «Begegnungs-Chalet» aufgestellt.

Im Altersheim Unteres Aaretal hat man bewusst auf ein solches Chalet verzichtet. «Weil es unter Umständen für Angehörige und Bewohner noch schmerzhafter sein könnte, sich zwar zu sehen, dann aber doch nicht nahe kommen zu können», sagt Heimleiter Weill.

Für die Angehörigen besonders schwierig

Herr Aerni freut sich über die Holzbox. Weil er jetzt seine Frau wieder sieht – und auch ein Stück weit Normalität einkehrt. War es doch bisher eine seiner Kernaufgaben, seine Frau zu besuchen oder Freunde und Bekannte von Verena ins Heim zu chauffieren. Jetzt fällt das alles plötzlich weg, und dafür kommt die Angst, dass sie leiden könnte. Früher gehen, sterben, und er, der nicht da war, in Zeiten von Corona nicht einmal ihre Hand halten konnte.

Für die Angehörigen, sagt auch Peter Burri von Pro Senectute, seien diese Zeiten fast noch schwerer zu ertragen als für die Bewohner selbst. Besuche, Einkaufen, für jemanden sorgen, die sozialen Kontakte per se seien mit der Kern des Alltags, weil das Arbeitsleben nicht mehr existiert. Da seien pflegende und besuchende Angehörige oft einsamer als Menschen, die in Institutionen gepflegt werden – und deren Alltag in einigen Fällen der gleiche geblieben ist.

Der persönliche Bezug sei für beide Seiten enorm wichtig, bestätigt auch Heike Bischoff-Ferrari, Klinikdirektorin Geriatrie am Universitätsspital Zürich – insbesondere für Menschen mit Demenz. «Es kann ein Anker für sie sein, dass sie regelmässig von Angehörigen besucht werden, die sie kennen.»

Jedoch habe momentan der Schutz der vulnerablen Personen absolute Priorität. «Die Hoffnung ist ja, dass wir mit den Isolationsmassnahmen die Fälle reduzieren, und so schneller in die Normalität zurückkehren können», sagt Bischoff-Ferrari. Die Pflege-Teams seien geschult, um psychisches Leiden abzufangen. Welche langfristigen Folgen die Isolation für die Beteiligten hat, kann auch sie nicht abschätzen.

«Wir können nur alles daransetzen, die Folgeschäden so gering wie möglich zu halten», sagt die Expertin. Die Einschränkungen für gefährdete Personen, darin sind sich alle Befragten einig, werde noch lange andauern. Wie lange, weiss niemand. Doch noch ist kein Land weltweit zur Normalität zurückgekehrt, wie es sie vor der Coronapandemie kannte.

Bis dahin fährt Herr Aerni weiter ein paarmal in der Woche zu seiner Frau Verena und erzählt ihr aus seinem Leben. Durch die Glaswand, doch wirklich da.