In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unsere Autorin Samantha Zaugg alternierend mit Ludwig Hasler, Philosoph und Publizist, 77. Diese Woche erklärt Zaugg, wieso das mit der Zusammenarbeit zwischen den Generationen nicht so einfach ist.
Lieber Ludwig
Ist dir schon mal aufgefallen, dass alle alten Leute supergrosse Ohren haben? Das ist tatsächlich so. Denn die Ohren wachsen ein Leben lang. Die Nase wächst übrigens auch immer weiter, aber um die soll es hier nicht gehen. Warum ich das schreibe? Wirst du noch herausfinden.
Aber du willst ja über Erfahrung sprechen. Alt und Jung sollen kreativer zusammenarbeiten. Frisches Wissen mit Erfahrung kombinieren, zum unschlagbaren Team werden. Klingt gut. Aber da muss ich fragen: Wie genau stellst du dir das vor?
Grundsätzlich eine gute Sache. Aber ich sehe einen Haken. Für kreative Zusammenarbeit, überhaupt für Zusammenarbeit, muss nämlich erst mal gegeben sein, dass man sich auf Augenhöhe begegnet. Und das sehe ich tatsächlich eher weniger. Wenn ich sage «auf Augenhöhe begegnen», dann spreche ich von Ernst-Nehmen, von Respektieren, vielleicht überhaupt mal von Zuhören.
Gerade in der Arbeitswelt habe ich nicht wirklich das Gefühl, dass alte Menschen mir zuhören. Vielleicht muss ich sagen, alte Männer. Es ist ja oft genug noch so: Wo Entscheidungen getroffen werden, sitzen alte Männer. Und bei denen ist es mit dem Zuhören eher andersrum.
Was ich in meinem noch jungen Berufsleben schon alten Männern zugehört habe! Was die mir schon alles erzählt haben! Erst mal natürlich ihre Meinung, und zwar zu allem. Dann Schwänke von ihren Reisen, dem Segeln auf hoher See, natürlich von Wein und von dem einen Restaurant, wo’s wirklich ganz tolles Chateaubriand gibt. Was ich mir oft auch angehört habe: ihre Herrenwitze.
Für eine kreative Zusammenarbeit müssten die vielleicht mal aufhören. Denn auch das ist Erfahrung: Wenn man merkt, dass die Anliegen, die einem wichtig sind, nicht ernst genommen werden. Dass sich Personen in Entscheidungspositionen nicht für Lebensrealitäten interessieren, die nicht die ihren sind. Dann überlegt man es sich halt zweimal mit der kreativen Zusammenarbeit.
Ein Beispiel? Du zitierst Schopenhauer. Er war ein übler Frauenhasser. Bestimmt weisst du auch, wer Inspiration für sein Hauptwerk war: Kant. Der war ein Rassist. Genau wie Hegel und viele andere. Alles Kinder ihrer Zeit, kann man sagen. Aber heute ist eine andere Zeit. Sollte man ihre Werke nicht einordnen, in Kontext setzen?
Nein, wirst du sagen. Die Diskussion hatten wir schon. Reibung erzeugt Wärme, hält den Intellekt wach. Aber vielleicht fängt es genau da an?
Und da sind wir beim Anfang: Manchmal habe ich das Gefühl, ihr alten Leute habt zwar grosse Ohren, aber richtig zuhören könnt ihr nicht.
Samantha