In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 27. Diese Woche ein Loblied auf den Anzug. Obwohl, so gut ist er vielleicht eben doch nicht.
Lieber Ludwig
Du schreibst über Anzüge. Wunderbar, denn ich liebe Anzüge! Was ich daran mag? Genau das, was du beschrieben hast: dass sie uniform sind. Anonym wenn man so will. Dass mit Anzügen bestimmte Eigenschaften in Verbindung gebracht werden. Und dass man sich diese zu eigen machen kann, wenn man in den Anzug schlüpft.
Du schreibst, Frauen hätten einen Vorteil: die Wahl zwischen Rock und Hose. Kann ich nur halb gelten lassen. Männer hätten ja auch die Wahl, könnten auch einen Rock anziehen, hatten wir ja. Aber eben: Männer wollen nicht mit Eigenschaften in Verbindung gebracht werden, die allgemein als weiblich gelten. Und da wird’s interessant. Ich könnte jetzt von kollektiver internalisierter Misogynie schreiben. Von patriarchaler Deutungshoheit. Aber da würde sich die Leserschaft ausklinken. Linksintellektuelles radikalfeministisches Geschwurbel, blabla. Ich lass es also und mache lieber ein Beispiel.
Wenn eine Frau einen Anzug trägt, dann ist das entschlossen und stark. Weil sie männlich konnotierte Attribute auf sich überträgt. Denn allgemein gilt es als cool, ein Mann zu sein. Das lässt sich schon viel früher beobachten, schon in der Kindheit. Denk mal an ein Mädchen, das Fussball spielt, auf Bäume klettert und sich mit den Jungs rauft. Irgendwie cool. Und jetzt denk an einen Jungen, der ein Kleid trägt und mit Puppen spielt. Na, merkst du es selbst? Leute mögen es, wenn die Tochter ein Wildfang ist, ein Schlingel. Aber wenn ein Junge sich für Dinge interessiert, die eher Mädchen zugeordnet werden, ist das anders. Damit prahlt man nicht bei den Kollegen im Bier. Sondern hofft, dass es eine Phase ist und bald vorbeigeht.
Es geht sogar noch weiter. Die Aussage «du bist ein Mädchen» ist auch eine Abwertung. Du spielst Fussball wie ein Mädchen, du rennst wie ein Mädchen. Als ich klein war, haben Leute das gesagt. Und sie tun es noch heute. Denn noch immer haben wir starre Vorstellungen von Geschlechterrollen. Die übertragen wir auf uns selbst und unsere Kinder, ordnen sie einem binären Geschlechtersystem zu und hindern sie so an der freien Entfaltung. Ich könnte mich ewig darüber ärgern. Und trotzdem beobachte ich das Gleiche bei mir selbst. Wenn ich einen souveränen Auftritt abliefern will, zieh ich den schwarzen Anzug an, sicher nicht das rosa Kleid.
Ist es jetzt eine schlaue Geste? Das System für sich zu nutzen? Oder ist es im Gegenteil der Weg des geringsten Widerstandes? Sich gemein machen mit herrschenden Machtstrukturen, statt sie zu hinterfragen und neu zu gestalten? Weiss ich halt auch nicht. Bis ich mir im Klaren bin, schreibe ich meine Kolumne weiterhin, wie ich es immer zu tun pflege: im Anzug. Dreiteiler, Tweed. Dazu trinke ich Cognac und rauche Zigarillo. Oder so.
Samantha
Hinweis: Jung & Alt gibt es jetzt auch als Buch. Verlag Rüffer & Rub.