«Jung & Alt»-Kolumne
Was sagst du jetzt zur Queen?

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche erklärt Hasler, weshalb er mit dem Begriff «Work-Life-Balance» hadert.

Ludwig Hasler
Ludwig Hasler
Drucken
Selbst in Quetta in Pakistan trauern Jung und Alt um die Queen.

Selbst in Quetta in Pakistan trauern Jung und Alt um die Queen.

Keystone

Liebe Samantha

In der Sparte Schwank liegst du klar vorn. Auch mit der Tauben-Story: Lausige Arbeitsmoral, miese Nestqualität, gäbe jede Menge Freizeit – was aber macht die Taube? Schludert gleich ein neues Nest hin, nächste Brut, Vermehrung nonstop.

Für dich heisst das: Work-Life-Balance geht anders. Für mich: Work-Life-Balance geht genau so. Paradox, aber wahr: je mehr Freizeit, desto mehr Stress. Die Taube hätte üppig freie Zeit für «Life», sie weiss bloss nichts anzufangen mit ihr. Wie wir. Auch wir stopfen unsere leere Zeit sofort voll, gern mit Dingen, die schon von weitem nach Horror vacui schmecken. Und lassen kurioserweise in Arbeit ausarten, was angeblich von ihr befreit: Beziehungsarbeit, Achtsamkeitsarbeit, Trauerarbeit etc. Erst recht will der Genuss hart erarbeitet werden. Siehe TV-Sendung «Mini Chuchi, dini Chuchi», da beugen sich sonst bodenständige Leute mit einer Ernsthaftigkeit über banale Saucen und Garzeiten, als riskierten sie ihre Existenz.

Work-Life-Balance. Ein Dauerbrenner zwischen uns. Ich begriffsstutzig. Das wahre Leben beginnt nach der Arbeit? Was machst du denn da? Töfffahren? Kuchenbacken? Twittern? Stehpaddeln? Und findest so dein wahres Selbst? Prächtig eins mit dir? Und wenn du an einem Dokfilm arbeitest? Kolumne schreibst? Fühlst dich vereinnahmt, entfremdet, geknechtet? Wir spielen hier den Streit der Menschenbilder. Rüdiger Maas («Generation Z») im Kopf: Für euch Junge ist der Mensch von Geburt ein Juwel, eure Eltern haben es euch eingeimpft.

Logisch, hält ihr euch für lauter gelungene Einzigartige. Und logisch, wird «Life» zum Treibhaus für Selbstverwirklichung, zur Bühne für Selbstdarstellung, «Work» aber zur Gefahr der Konfektionierung. Wir Alten haben das anders im Blut: Nein, ich bin nicht schon toll, wie ich angeliefert wurde. Ich muss, ich will aus mir heraus­holen, was in mir steckt. Das schaffe ich am besten, wo ich zusammen mit andern an einem «Work» mitwirke, wo ich in diesem Theater eine Rolle spiele, etwas mehr bewege als mich selbst …

Übrigens: Was hältst du von der Queen? Antiquiertes Schreckgespenst einer arbeitsaufgefressenen Menschenexistenz? Gelobte mit 21, ihr Leben dem Dienst am Königreich zu widmen. Von da an praktisch null Leben ausserhalb der Öffentlichkeit, keines, wo man meint, ganz sich selbst zu sein. 70 Jahre war sie jeden einzelnen Tag «Queen Elizabeth II.», eine Funktion, davon gab es keine Pause, noch im Schlafanzug war sie «Your Majesty».

Alles Work, null Life? Dennoch standen Millionen stundenlang an, ihr Respekt zu zollen. Jung wie Alt. Ihr, der Unzeitgemässen, hausierte nie mit Gefühlen, blieb stets distanziert, der Rolle verpflichtet.

Etwa eben darum?

Ludwig

Hinweis: Jung & Alt gibt es jetzt auch als Buch. Verlag Rüffer & Rub.

Weitere Episoden dieser Kolumne finden Sie hier: