In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 78, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche erklärt Hasler, wieso er lange geraucht hat.
Liebe Samantha
Interessant, was du da von dir erzählst. Wie du allerlei altes Personal in dir mitschleppst, du magst das eigentlich gar nicht, aber es steckt nun mal in dir, wie deine Rolle «perfekte Haushälterin», die du mal befolgst (Kühlschrank putzen) – dann wieder austrickst (Sofaflecken). Ich kenn dich ja von der Bühne, da wirkst du voll kompakt. Nun dahinter ein ganzes Ensemble diverser Samanthas, mal mit-, mal gegeneinander: 50er-Jahre-Hausfrau-Ich, Künstlerin-Ich, Jung-Feministin-Ich …
Zwei Seelen, ach. Kenn ich. Zwei mindestens. Samt der ewigen Frage: Wie bringe ich die unter einen Hut? Früher, glaube ich, kutschierten wir mit dem Wirrwarr von Ichs leichter. Ein Haushaltfreak-Ich tauchte zwar nie in mir auf. Dafür rauchte ich, geschlagene fünfzig Jahre, unmässig, also wohl süchtig. Wollte ich das? Komische Frage. ES wollte. Triebsache. Heute müsste ich es wohl verheimlichen, weil wer raucht, hat sich nicht im Griff, gilt charakterlich als zweifelhaft, bestenfalls.
Zu meiner Zeit rauchten sowieso alle, auch alle, die zu meinen Idolen gehörten. Albert Einstein rauchte, Sigmund Freud permanent (trotz dreissig Kehlkopfkrebsoperationen), Thomas Mann dito, Picasso, Sartre, Winston Churchill. Überdies tranken sie ein Vielfaches dessen, was das Bundesamt für Gesundheit für zulässig hält, erst recht hatten sie null Ahnung von Body-Mass-Index – und weisst du was? Fast alle wurden sie steinalt.»
So lebte ich in eine total andere Kulisse von Vorbildern hinein. Heute scheint ja zu gelten: Du darfst sein, wie immer du bist, gern auch doof oder langweilig, bloss rauchen sollst du auf keinen Fall. Dass auch Rauchen doof ist, war mir immer klar, nur glaubte damals kein Mensch (ausser Präventivmediziner) an die alleinseligmachende Kraft der Vernunft.
All die Koryphäen von Einstein bis Picasso gaben mir zu bedeuten: Wenn etwas aus dir werden soll, gib nicht dauernd «Acht auf dich», verausgabe deine Kräfte, sei mal rücksichtslos gegen dich. Sei angefressen von der Sehnsucht, alles besser zu machen, intelligenter. Gemütlich wird es so nicht, im Dauerrauch aber fällt dir das gar nicht auf, du fühlst dich prächtig eingelullt.»
So bekam mein Vernunft-Ich früh Konkurrenz in einem Sucht-Ich, das gehörte zu meinem internen Personal, liess sich aber von mir rein gar nichts sagen. Die Wahrheit über diese Beziehung ging mir erst auf, als ich nach fünfzig Jahren fand, es sei nun genug geraucht, der Körper müsse sich kurieren. Mein Wille war ziemlich eingebildet, er zog das durch – und merkte: Ohne Zigaretten war er nur noch eine halbe Portion. Nikotin, ein sagenhaftes Hirndoping, hatte mich durch all die Jahrzehnte hellwach und nachtaktiv gehalten.
Heute eh zwecklos. Doch insgesamt: Es lohnt sich, das irrationale Personal im eigenen Haushalt freundlich zu behandeln.
Ludwig