«Jung & Alt»-Kolumne
Warum seid ihr Alten so hart?

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unsere Autorin Samantha Zaugg alternierend mit Ludwig Hasler, Philosoph und Publizist, 76. Diese Woche erklärt Zaugg, weshalb sie nicht zwischen psychischer und körperlicher Gesundheit unterscheidet.

Samantha Zaugg
Samantha Zaugg
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Mindestens so hart wie Holz sind alte Männer. Oder so tun sie zumindest. Wieso eigentlich?

Mindestens so hart wie Holz sind alte Männer. Oder so tun sie zumindest. Wieso eigentlich?

Bild: Keystone

Lieber Ludwig

Ich sehe, bei psychischer Gesundheit, Mental Health, sind wir wirklich anderer Meinung.

Du findest, man muss sich zusammenreissen, mit Härte und Gegendruck reagieren. Das ist schon nicht verkehrt. Wenn’s um Lebenseinstellung geht. Aber das hat halt nichts mit psychischer Gesundheit zu tun.

Und da sind wir dem Problem auf der Spur: Dass solche Themen als Befindlichkeit bewertet werden, dass man unterscheidet zwischen psychischer und körperlicher Gesundheit. Denn eigentlich ist da kein Unterschied. Eine psychische Erkrankung ist eine Krankheit wie jede andere auch. Mit dem einzigen Unterschied, dass wir nicht so recht wissen wie wir der Psyche Sorge tragen.

Wenns um den Körper geht, wissen wir meistens, was zu tun ist: Beim Mückenstich gibt’s Salbe, Brandwunde wird gekühlt und wenns mal wirklich fest blutet geht man zum Arzt und lässt das nähen. Bei psychischer Gesundheit ist es genau gleich. Wenn man erschöpft ist, plant man Ruhe ein, wenn einen etwas belastet, spricht man mit einem Freund, und wenn man immer am gleichen Zeug herumstudiert und nicht mehr schlafen kann, geht man in Therapie.

Du sagst, du magst es altmodisch, ziehst gern eine hygienische Grenze zwischen Intimität und Öffentlichkeit. Und da muss ich fragen: Was hat das mit Hygiene zu tun? Unsicherheiten, psychische Probleme oder Krankheiten sind doch nichts Schmutziges. Warum also verstecken? Darüber sprechen ist ein guter Anfang, so kann man Tabus nehmen.

Das gilt nicht nur bei psychischer Gesundheit. Das Thema scheint dir irgendwie zu abstrakt zu sein. Ich will mal ein Beispiel machen, dass deiner Generation vielleicht näher ist: Hämorrhoiden. Findet auch niemand gut, haben aber total viele Leute. Trotzdem genieren sie sich, zum Arzt zu gehen. Und weil es ihnen unangenehm ist, gehen sie zu spät, wenn sie Schmerzen haben und wenns gar nicht mehr geht.

Und das ist schade, weil es gar nicht nötig wäre. Würden alle über ihre Hämorrhoiden sprechen, dann wüssten wir, dass es normal ist, würden uns nicht schämen und zum Arzt gehen. Alle wären glücklich und zufrieden und könnten ohne Schmerzen sitzen und zur Toilette. Das wär doch mal was!

So ist es auch bei psychischen Erkrankungen. Wenn man darüber spricht, wenn es einem nicht gut geht, merkt man früh genug, wenn man Hilfe braucht, bevor man in eine Depression gestürzt ist. Vorsicht ist besser als Nachsicht, sowas sagt ihr alten Leute doch gern. Und genau darum geht’s auch bei der Diskussion um Mental Health. Ich verstehe wirklich nicht, wieso man immer erst den Kopf unter den Arm haben muss, damit ein Leiden ernst genommen wird.

Bei euch alten Männern beobachte ich das am meisten! Ihr seid so streng, so hart, so verschlossen. Warum? Ist Emotionen zeigen eine Schwäche? Wollt ihr nicht zugeben, dass ihr manchmal auch überfordert seid? Oder unsicher? Oder berührt?

Samantha

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