«Jung & Alt»-Kolumne
Warum ich trotz allem kein Tiroler bin

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 27. Diese Woche erklärt Hasler, weshalb Sprache nicht zur reinen Selbstermächtigung taugt.

Ludwig Hasler
Ludwig Hasler
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Idyllisch: Das Tirol ist einer der bekanntesten Sehnsuchtsorte Europas.

Idyllisch: Das Tirol ist einer der bekanntesten Sehnsuchtsorte Europas.

Bild: Keystone

Liebe Samantha

«Sprache als Werkzeug der Selbstermächtigung»? Klappt bei mir nicht. Als ich jung war, wollte ich ein Tiroler sein. Hatte keine Ahnung, was das war, es klang einfach toll. Doch so oft ich es beschwor – «Ich bin ein Tiroler» – , es half nichts, ich blieb Luzerner. Schicksal. Gibt Schlimmeres.

Was Sprache mit uns mache, fragte ich. Für dich «fast schon kindlich». Danke, nichts bin ich lieber als kindlich – auch gegenüber der Sprache, nämlich so: Die Sprache, in der ich empfinde und denke, ist viel älter als ich, sie hat unfasslich viel erlebt, bevor ich in sie hineingeboren wurde, sie bewahrt die Erfahrungen Tausender Geschlechter vor mir. Sodass für mich klar ist: Eher hat die Sprache mich, als dass ich sie habe. Daher meine Neugier: Was macht sie grad mit mir?

Also ja, ich bin ein Kind der Sprache. Während du – mit Judith Butler – glattweg erwachsen bist. Selbstbestimmt. Du die Chefin, die Sprache dein Besteck. Judith Butler: Ich will «they» sein – und Simsalabim ist sie weder «sie» noch «er», sondern irgendwie alles. Das Wort als Zauberstab. Gut, ich versuch’s später mal: das Hasler.

Alle Macht der Sprache? Wessen Sprache? Butlers? Putins? Bitte nicht. Sprache ist mächtig genug. Worte, Schall und Rauch? «Liebe», ein Wort nur, doch welch ein Reichtum an Gefühlsvaleurs entspringt ihm? Bedeutet «Ich liebe dich» exakt dasselbe wie «I ha di gärn»? «Liebe» auf Deutsch: Welch seelenvolle Innigkeit, riskante Höhengerichtetheit, stets in Gefahr, klirrend zu zerbrechen. Dagegen das italienische «amore»: mehr umarmende Expression statt Innigkeit. Und das englische «love»? Klingt nach einem seelisch minder strapaziösen, eher lebenspraxiserleichternden Bonus. Das französische «l`amour» wiederum: Schmeckt mehr nach einer durch Esprit geniessbar gemachten Passion. Sprachwelten, Liebeswelten – verschlungen.

So mischt das Wort mit im Realen. In principio erat verbum. Im Anfang, nicht am. Du aber siehst im Wort die politische Waffe – gegen Schicksal, Herkunft, Natur. Sprache als Selbstbestimmungskeule. Selbstermächtigung! Ich bin Tiroler! Klappt nicht. Weil der Versuch, mit mir selbst anfangen zu wollen, hors-sol ist. Ich bestehe nun mal aus Vorgaben, zu denen ich nichts zu sagen hatte. Küble ich sie, bin ich pure Behauptung.

Du denkst, ich komme da altershalber nicht mehr mit. Komisch, deine Haltung erinnert mich an vorgestern. 68er-Mentalität. Kampf gegen «das Normale». Ist nicht zu gewinnen. Unser Leben spielt in Üblichkeiten. Üblich ist, was Gewohnheiten begründet, die man nicht erklären muss. Auf die man sich verlassen kann. Weil sie sich im Laufe der Zeit bewährt haben.

Na ja, abklopfen müssen wir sie schon. Aber Selbstermächtigung als Prinzip? Zum Fürchten.

Ludwig

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