In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 27. Diese Woche erklärt Hasler, wieso Sprache so mächtig ist und wie sie unsere Gesellschaft unbewusst prägt.
Liebe Samantha
Wie bitte? Squats heisst das heute, Push-ups, Burpees? Ich schaff das schon auf Deutsch kaum noch. Kniebeugen, Liegestütze, Froschhüpfen. Hab es eben versucht. Bitte keine Fragen jetzt.
Und die Schale Kaffee läuft unter Flat White? In Frauenfeld? Da kann ich nur sagen: So ticken Leute/Branchen/Gesellschaften, die unbedingt modern und cool wirken wollen, nur dass ihnen nie im Leben etwas Cooles einfällt. So frisieren sie halt am Vokabular für ihren kalten Kaffee, hecheln dem akuten Modespeech nach, konsequent hinterher.
Für uns Alte speziell, da hast du recht. Da wir oft kaum wissen, wie man das Zeug ausspricht, werden wir zu Fremdlingen in der eigenen Welt. Die bleibt zwar grosso modo dieselbe, hört aber auf Namen und Begriffe, die uns nicht geläufig sind, sodass wir in den Status sprachloser Idioten fallen, die auf Dinge zeigen müssen, weil sie sie nicht ansprechen können.
Allerdings kennen wir auch den umgekehrten Fall: Wie neue Worte uns quasi «kolonialisierten», uns neue Denkarten einredeten, längst vor dem heutigen Gendern. Stress zum Beispiel. Jahrtausendelang schwitzte der Mensch, wenn er überfordert war, er fluchte, er verfluchte sein Rackerschicksal. Eines Tages jedoch in den 1970er-Jahren erreichte uns das Wort «Stress», und seither schwitzen wir nicht mehr tierisch, wir leiden unsäglicher und sozusagen auf höherem Niveau: Wir sind «gestresst» – und ein Heer von Wissenschaftern und Therapeutinnen erforscht und kuriert die neue Pathologie so hingebungsvoll, dass sie sich unaufhaltsam verbreitet.
Am Anfang war das Wort. Wir Alten begannen, auf es zu hören – und wurden seelisch modernisiert.
Ganz ähnlich Mobbing. Schon immer plagten sich die Menschen, sie schikanierten sich bis aufs Blut, doch irgendwie nahm man es hin, als Folge der Erbsünde, als Strafe für eigene Sünden, jedenfalls erwartete man von Zweibeinern nichts Besseres, was den Vorteil hatte, dass man sich vorsah gegen Angriffe hinterrücks. Bis 1988 das Wort «Mobbing» auftauchte.
Der Mobber, das ist nicht der alte Adam, das ist etwas entschieden Neues, ein typisches Gegenwartsphänomen, das merkt man schon daran, dass es irgendwie englisch tönt (Mob, der Pöbel; mobben, herfallen über). Kaum zirkuliert das Wort, häufen sich die Mobbing-Klagen, die Mobbing-Beauftragten, die Mobbing-Therapeuten. Hilft es? Nicht die Spur, es gibt immer mehr Mobbing. Wohl auch, weil wir es inzwischen so abartig finden, dass wir es keinem Kollegen zutrauen (sind alle lieb und gütig). Weshalb wir dummerweise vergessen, uns zu wappnen.
Was machen wir mit Sprache? Was machen Worte mit uns? Konkret: Was macht ihr Jungen sprachlich anders?
Ludwig