«Jung & Alt»-Kolumne
Sich treiben lassen und dann? Null Credit Point

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche erklärt er, weshalb der direkte Weg manchmal nicht der Beste ist.

Ludwig Hasler
Ludwig Hasler
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In der hintersten Reihe sitzen und sich auch mal nicht auf den Pflichtstoff konzentrieren? Heute gar nicht gern gesehen.

In der hintersten Reihe sitzen und sich auch mal nicht auf den Pflichtstoff konzentrieren? Heute gar nicht gern gesehen.

Keystone

Liebe Samantha

Und wie ich Dinge vor mir herschiebe. Die dringendsten mit bemerkenswerter Ausdauer.

Heute wundere ich mich, dass ich damals überhaupt zur Maturprüfung ging. Oder mein Studium abschloss, sogar zügig. Faul war ich nie, nur auffällig gut darin, mich für alle möglichen Dinge zu interessieren – bloss grad nicht für die, die der Studienplan vorsah. Ich liebte Seminare zu Renaissance-Musik, der Professor am Cembalo, wir sangen Madrigale von Monteverdi.

Ich trainierte in der Sporthalle. Ich ging zu Vorlesungen über Kunstgeschichte. Ich unterrichtete Mathematik am Gymnasium. Alles nicht wirklich «zielführend», eingeschrieben war ich für Philosophie, Physik, Altgriechisch. Klappte nur, weil mein Doktorvater mich irgendwie interessant fand, wir gingen essen, meine Dissertation las er vermutlich nie, wozu auch, wir hatten uns ja darüber unterhalten.

Heute undenkbar, oder? Die Studiengänge durchgetaktet, standardisiert, modularisiert. Hauptsache effizient. Bloss keine Zeit verplempern, stracks von A nach B, das Ziel stets klar vor Augen. Das Ziel? Der Abschluss. Nichts gegen Ökonomie, wird halt rasch geistlos. Weiss nicht, ob ich das geschafft hätte.

Vielleicht hast du Glück mit deinem Kunststudium. Insgesamt steckt ihr in der bildungsbürokratischen Effizienzmühle. Dazu: Die Uni Zürich will ihre 80 Sonderbibliotheken loswerden, in einer einzigen Superbibliothek versenken. Denn: Die vielen kleinen Fach- und Handbibliotheken sind wahre Eldorados für Bummelstudenten. Aufforderungen zum Stöbern und Streunen. Statt sich konsequent und speditiv auf die Pflichtlektüre zu beschränken, erliegen Studentinnen dem Reiz fächerübergreifender Kuriositäten.

Und dann? Null Credit Point – schlimmer: Das Ziel verschwimmt, verändert sich, am Ende wechselt die Studentin das Fach, geht in die Werbung statt ins Masterstudium Pflege, zwei Semester Fehlinvestition. Also Schluss mit dem Effizienzkiller Spezialbibliotheken. Her mit der Einheitsbibliothek, komplett, logistisch, effektiv. Da kriegt man, was man braucht. Elektronisch, klar. Lektüre on demand, massgeschneidert, schlank, zielführend.

Da hatten wir Alten es doch noch viel besser. Kurt Wüthrich, fünf Jahre älter als ich, Nobelpreisträger für Chemie, erzählt gern, wie er sich damals an der Uni treiben lassen konnte. Jede Menge Sport, er war Schweizer Meister im Korbball, war Schwimmlehrer, war Skilehrer. Er belegte Vorlesungen in Philosophie und in Theaterwissenschaft. Und der Dr. chem.? «Erledigte ich am Abend, neben dem Sportlehrerkurs in der ETH, in vierzehn Monaten.»

Seltene Begabung? Klar. Aber auch schlaue Trainingsanlage: Das Menschenhirn will angeregt, nicht durchgeschleust werden.

Wie kommst du da durch?

Ludwig

Hinweis: Jung & Alt gibt es jetzt auch als Buch. Verlag Rüffer & Rub.

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