In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche sinniert er über Generationenunterschiede beim Reisen.
Liebe Samantha
Wäsche aufhängen gehört zu meinen Jobs. Dass ein Stewi «First Lady» heisst, ist mir trotzdem entgangen. Ich sah ihn eher männlich: kantig, stur, unbeirrbar.
Ähnlich unbeugsam wie der Stewi kommt mir nur noch unsere Reiselust vor. Als lebten wir im 19. Jahrhundert, wo die Welt menschenleer, die Kulturen richtig fremd und zu entdecken waren. Heute ist sie überall verstopft, statt Fremden kreuzen massenhaft andere Touristen unsere Wege, uns aber fällt irgendwie nichts anderes ein, womit wir für den angeblich so harten Alltag zu entschädigen wären …
Als Meckerer gegen die heutige Reiserei bin ich ja berüchtigt. Ja, ich finde, sie wird zu hoch gehängt. Ja, ich finde, Touristen sehen Mitleid erregend gelangweilt aus. Ja, ich finde Leute, die Bücher lesen, meist interessanter als Leute, die überall auf der Welt waren – aber stets dieselben geblieben sind.
Doch nun hör ich, wie eine junge Frau, 24, von ihrer Reise erzählt. Im Zug und Bus von Zürich nach Istanbul, mit Rucksack, solo. Wo immer sie unterwegs ist – Budapest, Belgrad, Sofia – , sie erlebt jede Menge, mit Menschen, mit Stätten. Dank der Einheimischen, die sie über die Dating-App Tinder kontaktiert, und die führen sie herum, decken sie mit Tipps ein, wo essen, schlafen, tanzen, träumen. Für Hotels kein Geld? Auch mit Geld sind Hotels kein Thema, zu anonym. Lieber nutzt sie die Couch von Fremden, bucht Airbnbs von Privaten, schläft kostenlos bei Einheimischen, arbeitet auch mal für eine Übernachtung im Haushalt mit.
Denn – und jetzt kommt es: Sie will die Orte, die sie besucht, «nicht nur besichtigen; sie will wissen, wie es ist, hier zu leben».
Nicht nur besichtigen. Da liegt der Unterschied. Das massenhafte Reisen: Flieger, Hotel, Besichtigungstour, Flieger. Schon Sören Kierkegaard machte sich lustig über «den Berufsreisenden», der «alles beschnuppert, was andere beschnuppert haben». Diese Art zu reisen läuft ab wie Fernsehen, nur aufwendiger: Überall vorbeischauen, ohne teilzunehmen, ohne sich ins Geschehen verwickeln zu lassen. Reiner Augenkonsum, kontaktfrei, hygienisch. Opernhaus in Sydney, musst du gesehen haben. Nashorn in Simbabwe, musst gesehen haben. Slum in Mumbai, musst gesehen haben. Warum? Wozu? Wissen doch alle, wie das aussieht.
Aber damit leben, das ist schon eine andere Nummer. Eintauchen ins fremde Leben. Sich verlieren, vielleicht verlieben – statt bloss eine Stippvisite absolvieren. Ernst machen mit dem fremden Spiel, als Akteur, nicht bloss als Voyeur. Sich riskieren, verführen lassen.
Für uns Alte zu riskant? Tinder statt Reisebüro? Mit Einheimischen picknicken? Couchsurfen? Wohl doch eher eine Disziplin für Junge.
Ludwig
Hinweis: Jung & Alt gibt es jetzt auch als Buch. Verlag Rüffer & Rub.