In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche erklärt Hasler, wieso manche Leute die Alterungszeichen ihres Körpers kaschieren wollen.
Liebe Samantha
Du hast gut reden mit deinen zarten 28 Jahren. Warum Krampfadern verstecken? Alte Körper sehen halt zerknittert aus. Wozu die Scham? Total bescheuert, gegen Übel anzurennen, die wir eh nie ändern. Bravo. Die Rede kenne ich, kursiert seit bald zweieinhalbtausend Jahren, Stoiker, Kyniker, Epikur, die ganze Gelassenheitsfraktion. Heute hör ich meist Jüngere so predigen – und wundere mich, warum dann Botoxen für 23-Jährige ein Volkssport ist. Haartransplantieren für Männer übrigens dito.
Recht hast ja trotzdem. Im Prinzip. Dass die Zeit ihre Spuren auf die Haut zeichnet, ist trivial, die Sonne, die Rackerei, die Ausschweifungen, die Kränkungen. Es ist mit dem Menschen wie mit Bäumen: Die Jahrringe zeichnen sich nicht nur inwendig ab, auch an der Rinde. Je älter der Baum, desto zerfurchter die Rinde. Je älter der Mensch, desto zerfurchter seine Haut. In den Falten nistet seine Lebenserfahrung. Sogenannt debile Menschen haben keine Falten, sie bleiben Kinder bis ins Alter, unschuldig, innerlich wie äusserlich. Also: Wollen wir noch mit 75 wie Kinder aussehen?
Bloss das nicht, sagen Stoiker von Seneca bis Samantha: Straff sei die Jugend, weise das Alter. Hauptsache authentisch, die Erscheinung als Spiegel des Seins. Das Ich, ein Bildungsroman: Drinnen wird es immer reicher, nach aussen immer lottriger. Das Ich reift, die Haut welkt.
Toll! Nur – die Krux steckt anderswo: Dass das alte Drinnen noch gar nicht reif ist fürs Altsein. Dass die Seele mit dem Zerfall des Körpers nicht Schritt hält. Der Wunsch nach Korrektur oder doch Verstecken von Alterssymptomen entspringt nicht immer einem Jugendwahn. Er entspricht durchaus der klassischen Theorie der Schönheit, wonach Sein und Erscheinen harmonisch übereinstimmen sollen. Was nun, wenn die beiden auseinanderdriften?
Dass heute manche 70-Jährige «jünger» denken und empfinden als bis vor kurzem 50-Jährige, ist einfach so, sagt meine Beobachtung. Die Tendenz wird anhalten. In einer dynamischen Welt, die sich stets schneller verändert, müssen wohl auch wir uns stets neu verändern, also verjüngen, wenn wir bei der Welt und bei den Leuten bleiben wollen. Es wird stets schwieriger, eine einzige kompakte Ich-Identität durchs ganze Leben durchzuhalten. Also werden wir wohl unser Ich narrativ gestalten, erzählend auffrischen. Was manchen leichter fällt, wenn sie ihr Äusseres nicht als sakrosankt hinnehmen müssen.
Liften lass ich mich trotzdem nicht. Mit 70 merkte ich, im Alter steht einem Nacktheit schlecht – und liess den Bart etwas wachsen. Wunder wirkt es keine.
Was mich interessiert: Bist Du auch inwendig 28? Ich glaub, in deinem Alter war ich so um gefühlte 40.
Ludwig