In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 27. Diese Woche erklärt Hasler, wieso der Alte der «vergängliche Komödiant des Welttheaters» ist.
Liebe Samantha
Der Mensch als notorischer Selbstinszenierer? Der alte Mann als Muster, dieses Theater endlich loszuwerden? Schlaue Idee. Könnte aber noch mehr hergeben.
Zur Selbstinszenierung. War bei uns kaum anders. Mit simpleren Mitteln halt. Aber immer nach was Besonderem aussehen, nach wichtig, nach cool, nach intellektuell, Rollkragenpullover à la Sartre, «Spiegel» unterm Arm. Anstrengend, nicht erst seit Instagram. Schon wir führten uns auf wie vor dem Fotografen, wollten selber entscheiden, wie man uns sieht, von welcher Seite, also bitte keine Momentaufnahme!
So modellierten wir unser Ich, frisierten unsere Person. Scheint normal für Menschen – und anfällig für Tragikomik: Während wir unser Wunschbild nie befriedigend erreichen, bleibt unsere Real-Kondition umso schäbiger auf der Strecke. Damit habe ich nun gut 70 Jahre Erfahrung und kann sagen: Zwei Mächte erlösen uns vom Inszenierungsstress – die Liebe und das Alter.
Die Liebe entwaffnet, sie geht auf die unbedeckten Stellen der Person, legt uns darum im doppelten Sinne flach, und dabei merken wir, was – hinter unserer Selbstdarstellung – an uns wertvoll ist: Hey, du bist unglaublich, ganz ohne Visier, ohne Panzer, ohne Posieren. Gut, das müssen wir dann noch hervorholen, entwickeln, kann auch stressig werden, doch immerhin.
Das Alter rüstet ab, indem es das Aufrüsten einfach aufgibt. Nicht aus höherer Einsicht. Es trägt bloss nichts mehr ein. Das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag wird von Tag zu Tag grotesker. Darum Schluss mit Scham. Dünne Beine, Speckbauch? Egal, pfeile auf dem Velo über den Thurdamm, vorbei an der jungen Joggerin, die auf deine Neonbadehose starrt, «Chapeau» murmelt, und «Stilikone».
Meine Zukunft sehe ich lieber im Vertrotteln. Heisst nicht verblöden, gar nicht. Der vertrottelnde Alte spielt nicht mehr mit, er weiss, dass er unnütz ist, also hört er auf, sich auf Pseudoleistung (auf Velo und so) zu trimmen, er verplempert seine Tage, er hat begriffen: Er ist reiner Selbstzweck, zu nichts gut, ausser zum höchstpersönlichen Schlendrian. Jetzt kann er ganz Mensch sein, ein komischer Vogel, das grosse Fragezeichen des Universums.
Ich skizzierte diese Vista für mein Altersbuch: Der Alte als «vergänglicher Komödiant des Welttheaters». Seither kommt sie mir immer plausibler vor – für die Zeit, wo wir mitwirken weder können noch mögen. Vertrotteln als Lebensform einer letzten Autonomie. Als Existenz jenseits der Lebensangst. Als Sisyphus, der auf seinem Stein sitzen bleibt, statt ihn dauernd zu wälzen.
Bin wohl bald reif dafür. Über die Festtage lässt es sich bestens üben. Was mich zur Frage bringt, Samantha: Was hast du mit Weihnachten im Sinn?
Ludwig