In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unsere Autorin Samantha Zaugg, 26, alternierend mit Ludwig Hasler, Philosoph und Publizist, 76. Diese Woche erklärt Zaugg, weshalb verschiedene Generationen Sex, Fleisch und Freud mit anderen Wertungen assoziieren.
Lieber Ludwig
Heute gebe ich Dir vor allem recht. Es gibt nichts zu widersprechen. Ausser am Schluss.
Aber zuerst zur inneren Auflehnung gegen die Vernunft. Also wenn man etwas tut, obwohl man weiss, dass es nicht schlau ist. Rauchen zum Beispiel. Du hast recht, das kenne ich natürlich. Gleich nochmals liegst Du richtig: Meistens mag ich innere Widersprüche nicht besonders. Zum Beispiel Tiere lieben und Fleisch essen.
Du beziehst das auf meine Generation, nennst uns vernünftig. Auch hier gebe ich Dir recht. Viele von uns beschäftigen sich mit Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder Rassismus. Alles vernünftige Themen. Warum wohl? Vielleicht wurde uns diese Vernunft aufgezwungen? Vielleicht, weil sich die Generationen vor uns bisweilen recht sorglos verhalten haben?
Sei’s drum. Zurück zum Fleisch. Interessant: Du assoziierst Fleisch mit Vergnügen, Lust und Sexualität. Das klingt mir sehr katholisch. Überhaupt sehr christlich. Das Christentum ist mir natürlich ein Begriff, aber in meiner Lebensrealität spielt es eine eher untergeordnete Rolle. Du wurdest anders sozialisiert, hast ja als Ministrant Dein Sackgeld verdient.
Vielleicht sind wir da auf der Spur von etwas, es könnte tatsächlich ein Generationending sein: Ich behaupte, junge Menschen verbinden Fleisch nicht mit Lust, sondern mit Essen. Und dann ist das Klima nicht mehr weit. Und Fleisch und Klima, das ist Sünde. Und Sünde ist in der Kirche ja eine wichtige Komponente. Man könnte also schreiben, Fleisch ist der neue Sex. Aber das wäre plump. Ich schreibe lieber: Unsere Assoziationen sind vielleicht gar nicht so verschieden. Irgendwie gleich, aber trotzdem anders.
Item, sprechen wir über Sex. Das hat heute nichts mehr mit Sünde zu tun. Im Gegenteil. Es gibt das Wort «sexpositiv». Das heisst, egal um welche sexuelle Orientierung und Vorlieben es geht, Sexualität ist gut und gesund, solange alle Beteiligten einverstanden sind. Klar, auch wir sind noch nicht frei von Scham. Oft fehlt uns auch das Vokabular, um über Sex zu sprechen. Vor allem, wenn es um die weibliche Sexualität geht. Und da gibst Du mir eine Steilvorlage: Sigmund Freud.
Wollen wir uns aufs Glatteis wagen und uns über Freud unterhalten? Denn da vermute ich einen weiteren Generationengraben. Für Dich mag er die rationale Leuchtfigur sein. Heute wird er anders rezipiert. Den Frauen, auch den Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen, hat er nämlich ein schönes Ei gelegt.
Soweit ich Freud verstanden habe, hatte er vor allem einen Krampf mit seinem Penis. Aber Du bist ja Philosoph und weisst bestimmt mehr. Was ist so toll an diesem Freud?
Samantha