«Jung & Alt»-Kolumne
Kann es sein, dass ihr Feuer wollt, nur bitte ohne Rauch?

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 27. Diese Woche erklärt Hasler, wieso wir die Ungereimtheiten des irdischen Betriebs etwas gelassener sehen sollten.

Ludwig Hasler
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Jedes Fest hinterlässt Spuren. Doch deswegen lieber ganz auf die Party verzichten?

Jedes Fest hinterlässt Spuren. Doch deswegen lieber ganz auf die Party verzichten?

Bild: Keystone

Liebe Samantha

Nein, ausnahmsweise höre ich keine Moralglocke. Dass du die Berge zum Skifahren gern à la nature hättest, ohne zivilisatorischen Rummel, das ist purer Egoismus, moralfrei. Kenne ich auch, mich nervt schon, dass überall Leute sind, wo ich gern bin, am Berg, auf dem See. Aber das macht halt die Ambivalenz des Fortschritts. Es wird alles immer besser – also immer schlimmer. Eben hörte ich am Kiosk zwei Teenager darüber klagen, wie unmenschlich lange man sie am Airport hätte warten lassen. Arme Kinder. Ich hätte damals tagelang gewartet, hätte ich bloss mal fliegen dürfen.

Doch abgesehen von Skilift und Bier: Ja, die Töne, die ihr Jungen heute gern anschlagt, kommen bei mir schon moralisierend an. Ich hab den Eindruck, euer Immunsystem ist auf den Felgen, ihr geht ohne Desinfektionsspray gar nicht mehr ausser Haus, ihr gebt den Immunkräften keine Chance, sich zu kräftigen, ihr seid noch am Saubermachen – genauer: am Appellieren, es müsse alles sofort sauber werden, die Luft, die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Beziehungen, die Literatur, sogar die Geschichte. Generationenprojekt Ausmisten – doch wozu eigentlich?

Nichts gegen Saubermachen, mache ich zur Not auch, etwa vor einer Party. Die aber hinterlässt – wie das Leben überhaupt – ihre Spuren: Kater, Abfall, Kratzer (auch psychische). Dann lieber keine Party? Nur noch saubere? Gibt es das? Gibt es sauberes Leben?

Nehmen wir Alten das Durchzogene leichter? Könnte am Weltbild liegen, in dem wir aufwuchsen. Da war nicht alles auf der Welt Menschenwerk, es gab den übergeordneten Konflikt von Licht und Dunkel, Himmel und Hölle, Gott und Teufel. So lange hatte das Böse, das Teuflische einen Ort und seinen Anstifter.

Erst seit die Hölle geschlossen und der Himmel vakant ist, sind wir an allem, was schiefläuft, selber schuld. Und da vor allem ihr Jüngeren das nicht auf euch sitzen lassen wollt, fallen manche in Burnout; andere sind, vom Rechtfertigungsfuror gepackt, mit dem moralischen Laubbläser hinter allem her – vor allem hinter uns Alten, weil wir den Ungereimtheiten des irdischen Betriebs etwas gelassener zusehen.

Könnte es sein, dass ihr Feuer wollt – doch bitte ohne Rauch? Dein Bild gibt eine tolle Metapher her: du auf der Bergterrasse, Bier in der Hand – und zweigeteilt, fast wieder klassisch: die hedonistische Samantha selig, die moralische zerknirscht. Willst du damit provozieren, was ich längst argwöhne? Aber gern: Eigentlich ist euch in der kapitalistischen Konsumwelt pudelwohl – nur dass ihr sie im Status von Unschulds­engeln durchstreifen wollt. Geht nicht. Wie beim Wetter. Manche wollen es dauerhaft wolkenlos haben. Klar. Gibt bloss kein Wetter.

Ludwig

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