In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 27. Diese Woche erklärt Hasler, wie er mit dem körperlichen Schwächerwerden umgeht.
Liebe Samantha
Im alten Körper wohnen? Wie stellst du dir das vor? Denkst du, ich steige mal nach oben, stecke im Hirn ein paar Synapsen um, wieder hinunter zur Lunge, um aufzutanken, später schlafe ich im Magen eine Runde? Oder denkst du einfach, im Alter bin ich gefangen im Körper, komme weder aus ihm heraus noch mit ihm voran? Hat etwas. Statt geistiger werden Alte körperlicher.
Vielleicht mache ich darum gerne auf robust, wenn es um meinen Körper geht. Ich bin 77, basta. Kommt dann das obligate «Aber das würde man Ihnen nie geben!», reagiere ich frostig: «Was?! Da gebe ich mir so eine Mühe, tüchtig zu leben, und nun sieht man das nicht einmal!» Ich sehe aus wie 77. Meistens. Selten jünger, morgens älter.
Tönt souverän, oder? Bitte Applaus. Die Realität ist natürlich durchzogener. Mit 77 steckt mein Körper mitten in seinen Verlustgeschichten, es schrumpft und hapert mal da, mal dort. Sein Bewohner mag ich trotzdem nicht werden, quasi sein Passivmitglied. Bisher habe ich Glück mit den Gelenken, nur die Lunge braucht Pausen. Marathonzeit? Zwei Tage.
Kürzlich eröffnete ich in Magglingen den Sportkongress, sprach vor 400 Sportlehrerinnen, Thema «Bewegung und Bewegtheit». Mein Zug traf zu spät in Biel ein, ich rannte zum Bus, keine zwei Minuten, ich aber halb tot unter all den Sportskanonen, schnappte nach Luft wie ein verzweifelter Karpfen. Die Misere meines Körpers ist nicht, dass er nicht mehr rennen mag, sondern dass er das nicht wissen will. Und ich? Mache brutta figura. Schlimmer: eine peinliche Vorstellung. Alte, die zum Bus rennen, als ginge es um ihr Leben, sind lächerlich. Erstens kommt wieder ein Bus. Zweitens – was verpassen wir eigentlich?
Haltung statt Tempo? Sag das meinem Körper. Er rannte früher ganz respektabel, das vergisst er nie. Noch heute, wenn ich Leichtathletik am TV schaue, EM und so, sagt er irgendwann: Wenn wir uns nur ein paar Monate hineinhängen würden, wären wir wieder dabei! Ist total lächerlich – und erfrischend. Mein Körper will rennen. Ich kann nicht mehr. Bleiben die Fragen: Wer ist «Ich»? Ist mein Körper «mein»? Vor allem: Wer hat hier eigentlich das Sagen?
Die Rede, übrigens, gelang trotzdem. Sie habe «richtig bewegt», schreibt die Organisatorin. Danke, man kann also mehr bewegen als sich selbst. Als minder mobiler Alter kann ich umso leichter «geistig» mobilisieren. Inspirieren statt bewohnen. Aus Bewohnern werden rasch Renovierer. Die sehen den Körper als Sanierfall. Womit ich bei deiner Frage bin: Geht auch «generalsanieren»?
Geht schon. Ist aber keine Altersspezialität, oder? In Zeiten von Instagram, höre ich, modellieren ganz Junge ihre Körper nach den bescheuertsten Idealen.
Ludwig