«Jung & Alt»-Kolumne
Im Schnee von gestern begann vielleicht das Drama des alten Mannes

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 27. Diese Woche erklärt Hasler, wieso Verzicht der älteren Generation schwerer fällt.

Ludwig Hasler
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Früher gab es deutlich mehr Schnee – auch der Zürcher Üetliberg war ein Skiparadies.

Früher gab es deutlich mehr Schnee – auch der Zürcher Üetliberg war ein Skiparadies.

Bild: Keystone

Liebe Samantha

Dir ist ein Rätsel, warum uns Alten der Klimawandel nicht voll einfährt. Wir müssten speziell anfällig sein für «Umwelttrauer», wir hätten doch noch erlebt, wie viel Schnee vor 70 Jahren fiel.

Tatsächlich fuhr ich damals jeden Winter Ski, in Beromünster, am Propsthügel, 642 Meter über Meer. Die Ski aus schwerem Holz, grotesk lang, mit Bindungen, die grauenhaft unpraktisch waren, gemeingefährlich. Bei Beinbruch waren wir trotzdem selber schuld. In den Hügel bauten wir eine kleine Schanze, stapften unermüdlich nach oben, fielen hundertmal kopfvoran in den Schnee. Danach gab es ein Stück Brot, Margarine darauf und Zucker darüber gestreut. Von Rücksicht auf Zähne sprach niemand. Wir bissen gierig zu. Es war Winter. Es war grossartig.

Du denkst, darum müsste uns Alte heute, da der Propsthügel grün bleibt, die Nostalgie heimholen. Wir seien sozusagen biografisch prädestiniert, gegen Klimawandel aufzubegehren. Kann man so sehen – oder wir fragen: Begann im Schnee von gestern vielleicht das Drama des alten weissen Mannes? Eine Geschichte der Abhärtung, das Training der Härte gegen sich selbst, die sich leicht auch verhärtet gegen das Schicksal anderer?

Dazu passt, was ein Leser aus Herisau schreibt: «Die Erfahrung des alten Mannes bewirkt nur zunehmende Vergrösserung aller globalen Katastrophen… Ich bin selber alt, ein wenig vertrottelt… Das Traurige ist, dass der Alte im Laufe seiner Sozialisation selbst zurechtgeknetet wurde, bis zum Systemkrüppel.»

Ist unsere «stoische Zuversicht», wie du sagst, nichts als Systemknetung? Welches System? Die meisten Alten sind für Klimaschutz, theoretisch. Nur in der Praxis hapert es. «Verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre» (Ulrich Beck), da stecken wir drin. Also unser Verhalten ändern, wie es die Vernunft empfiehlt? Weniger konsumieren, weniger Fleisch essen, weniger Auto fahren, weniger Energie verbrauchen, weniger reisen? Tönt prima, bloss – wofür leben wir dann? Was entschädigt uns dann für die irdischen Strapazen?

Als ich ein Bub war, war Religion für Entschädigungen zuständig; oft machte sie uns klein, zugleich öffnete sie Quellen innerer Kraft, Quellen des Trostes, des Rausches, der Schönheit. Später übernahm das «Wirtschaftswunder» und bescherte uns: mit Auto, Kühlschrank, Polstergruppe, Bordeaux, Flugreisen. Wir konnten uns «etwas leisten», wir «hatten es gut». Wir blühten auf – und verloren uns an die Anreize der käuflichen Dinge. Mit den Jahren verwächst der Mensch halt mit dem, woran er hängt.

Da wieder hinausfinden? Im Verzicht die Befreiung sehen? Toll. Macht ihr uns das mal vor? Ihr steckt noch nicht so tief in Gewohnheiten.

Ludwig

PS: «Wir» = typisch für viele.

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