In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unsere Autorin Samantha Zaugg, 26, alternierend mit Ludwig Hasler, Philosoph und Publizist, 77. Diese Woche erklärt Hasler, warum Arbeit und Vergnügen nicht strikt trennbar sind.
Liebe Samantha
An welche Sorte Vergnügen denkst du? An die Lust am Unökonomischen? An Inseln des Zwecklosen? An Schabernack? Dann versuche ich es einmal mit einem Witz. Er erzählt vom Mann, der im irdischen Leben keinen Genuss verpasste – und es nun, im Jenseits, kaum fassen kann, wie er bedient wird: mit Champagner und Kaviar, mit Unterhaltung, mit Sex à gogo. Er schlemmt sich durchs Angebot, erst gierig, dann routiniert, bis er eines Tages, verkatert und übellaunig, den Kellner anfährt: «So hab ich mir den Himmel nicht vorgestellt.» «Wie kommen Sie auf Himmel?», staunt der, «das hier ist die Hölle.»
Nichts gegen Vergnügen. Was aber vergnügt uns wirklich? Das Schlaraffenland also ist es nicht, führt direkt in die Hölle des Überdrusses. Eher die derzeit beliebte Soft-Variante, Genuss mit Mass, Spass ohne Kater? «Spaziere, höckle, gnüsse» raten Plakate in Zürcher Trams uns Alten. Na toll. Aber 25 Jahre? Hätte ich meinen Vater gefragt, was ihn vergnügt mache, er hätte gesagt: die Genugtuung, seine achtköpfige Familie mit Anstand über die Runden gebracht zu habend. Also seine Arbeit. Was stimmt mich vergnügt? Etwa, dass mich eine Rede selber überrascht. Also meine Arbeit.
Du siehst, ich kann nichts anfangen mit dem Gegenüber von Arbeit und Vergnügen. Klingt mir zu sehr nach Marx: Das Reich der Freiheit beginnt, wo die Arbeit aufhört. Wo leben wir denn? Malochst du am Fliessband in der Fabrik? Was ist das für eine komische Freiheit, die mit Arbeit nichts zu tun haben will? Seh ich genau umgekehrt: Freiheit beginnt, wo ich meine Arbeit zu meiner Sache mache.
Nimm mal Roger Federer, 40, er hört nicht auf, sich zu schinden. Warum tut er sich das an? Er tut sich gar nichts an. Er liebt, was er tut. Sein Verhältnis zur Arbeit ist erotisch, er kann also nicht von ihr lassen. Ein Leistungserotiker, der permanent an seinem Spiel herumverbessert. Klar gewinne er gern, sagt er, doch was ihn am Tennis reize, sei das Spiel als solches. Die Arbeit am Spiel. Also trainiert er, variiert, intensiviert, raffiniert. Es ist sein Leben.
Schräges Beispiel? Tennis ist eine extrem einsame Rackerei. Wenn es da gelingt, dass Arbeit zu Freiheit wird und zum Vergnügen, dann sollten wir das mit links schaffen. Du als Journalistin. Als Filmerin. Oder denk an die Lehrerin. Öffnet jungen Menschen eine Tür zur Welt, weckt ihre Neugier, ermutigt sie, stärkt sie, nimmt ihnen die Angst vor dem Erwachsenwerden. Kennst du ein grösseres Vergnügen?
Natürlich verschwimmt so die Grenze zwischen Arbeitswelt und Privatleben. Führt das schnurstracks zu Stress, Burn-out? Kommt drauf an, wer den Ton angibt – der Job oder ich. Falls ich, so ist Motivation da, Interesse, Tatkraft, Sinn. Vergnügen.
Ludwig