«Jung & Alt»-Kolumne
Gegen Druck hilft Gegendruck – auch bei Mobberinnen

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 78, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche outet sich Hasler als Fan einer fiese Filmfigur, mit deren Opfer er nicht immer nur Mitleid hat.

Ludwig Hasler
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Cate Blanchett spielt in «Tar» die ehrgeizige Dirigentin Lydia Tar.

Cate Blanchett spielt in «Tar» die ehrgeizige Dirigentin Lydia Tar.

Keystone

Liebe Samantha

Ob ich Serien schaue? Selten. Zu alt für neue Moden. Aber Filme. War eben im Kino. «TAR», ein Drama um Macht und Sex und Cancel Culture. Die Geschichte einer Dirigentin, unvorstellbar begabt, masslos ehrgeizig, hinreissend charismatisch – bis sie, von ihrer Macht verführt, abstürzt. Überirdisch verkörpert von Cate Blanchett.

Der Zeitgeist rümpft natürlich die Nase: Muss dieses Stück ausgerechnet an einer Frau durchgespielt werden? Einer Frau, die als «Hundertprozentlesbe» unterwegs ist? Stösst dir das auch sauer auf? Mir nicht. Ist doch ergiebiger so. Weil klarer wird: Mensch = Mensch, Macht = Macht, Miststück = Miststück.

Wobei im Film nebulös bleibt, welchen Mist Lydia Tar anrichtet. Dass sie ihre Geliebte im Bett fleissig auswechselt? Dass sie ihren Stellvertreter in die Wüste schickt? Etwas fies, doch als Nette wäre sie selber die Nummer 2. Dass sie ihren nonbinären Studenten of Color abkanzelt, weil der jede Musik von Bach (Mann, weiss, misogyn) ablehnt? Arrogant, recht hat sie trotzdem. Wer Werk und Biografie nicht trennen kann, ist ein Stümper, von Kunst nichts begriffen.

Was aber ist an den Gerüchten Übergriffe, Missbrauch? Eine junge Dirigentin bringt sich um. Hat Lydia Tar sie gemobbt? Die beiden waren sich nahe, die Stardirigentin förderte sie – und liess sie fallen, bremste ihre Karriere aus. Typisch Macht, noch kürzlich normal. Heute überlebt das keiner. Shitstorm. Studentenaufruhr. Sponsoren weg. Boykott des Musikbusiness. Tar stürzt ab.

Und ich – hab Mitleid mit ihr. Zu hinreissend ist sie. Too good to fail. Umso suspekter werden mir ihre «Opfer». Ja, Tar beherrscht sie alle, die Lebenspartnerin, das Orchester, die Geldgeber. Bloss warum kuschen sie immer? Die Orchesterleute spielen ihr Spiel mit, mit zunehmend verkrampfter Miene, heulen sich hintenherum aus, machen sich lustig über sie – und willfahren ihr dennoch.

Mobbing ist schändlich, manchmal gar tödlich. In Fällen wie im Film auch leicht vermeidbar – mit ein bisschen Zivilcourage. Statt gleich in Empathie zu vergehen sollten wir gelegentlich sagen: Hallo, ihr armen Gemobbten, zu eurem Elend gehören immer zwei. Eine machtbesessene Figur und alle, die reflexartig auf Ohnmacht schalten. Warum lasst ihr es euch gefallen? Warum lehnt ihr euch nicht auf? Weil ihr an eurem Posten hängt? Weil es bequemer ist, ohnmächtig zu sein? Weil ihr von eurer miesen Lage letztlich profitiert? Ihr müsstet euch nur zusammentun, gemeinsam die Willkür stoppen. Nicht einmal die Stardirigentin kann das gesamte Orchester feuern.

Ich habe (nicht nur in Physik) früh gelernt: Gegen Druck hilft Gegendruck. Ist nun diese Lektion aus dem Programm gefallen?

Ludwig

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