«Jung & Alt»-Kolumne
Du meinst: Ob ich noch lebe – oder schon wohne?

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 27. Diese Woche erklärt Hasler, wieso eine eigene Wohnung seiner Generation so wichtig ist.

Ludwig Hasler
Ludwig Hasler
Drucken
Die Einrichtung der Wohnung sagt viel über deren Bewohner aus.

Die Einrichtung der Wohnung sagt viel über deren Bewohner aus.

Bild: Keystone

Liebe Samantha

Wie man wohnt als alter Mensch? Du weisst, ich habe Glück, bin beruflich weiter unterwegs, ich wohne nur zwischendurch, auch dann arbeite ich meist, das mach ich halt am liebsten. Oder ich lese. Oder ich schalte TV ein, eine möglichst hirnlose Sendung, die findet sich immer, funktioniert wie ein buddhistischer Apparat, mein Kopf wird im Nu göttlich leer, ich lande direkt im Nirwana – und gleich springt die Fantasie an.

Das Beste am Wohnen ist, dass es privé passiert; die Korrektheitspolizei hört nicht, wie hier geredet wird, was gegessen, wie viel getrunken. Und das Prekäre am Wohnen? Wohl auch das privé. Das Leben verhäuselt, je älter, desto mehr. Der Ikea-Spruch trifft es: Lebst du noch – oder wohnst du schon?

Wir Alten kommen aus einer Zeit, wo das Wohnen Karriere machte. Auswärts ging man zur Arbeit, die gehörte der Fabrik, der Firma. Also wollte man auch etwas für sich, etwas Eigenes, eine eigene Welt, worin jeder sein eigener Chef ist, wo jede so sein darf, wie ihr grad zumute ist. Also bauten wir my Home zum sprichwörtlichen Castle, wenn auch im kleinbürgerlichen Format. Wir füllten es mit zeitgemässer Behaglichkeit, mit Wohnwand und Polstergruppe, vor die garstige Aussenwelt zogen wir Vorhänge. Wir schufen uns ein Séparée privater Gemütlichkeit, ein Futteral für unsere Eigenheiten, ein «Etui des Privatmannes» (Walter Benjamin). Wie verzweifelt stickig das hätte ausgehen können, wurde nur nicht richtig bewusst, weil das Fernsehen – just-in-time erfunden – die Leere mit «Teleboy» und Skirennen und «Wetten, dass ...?» vertrieb.

Die Idee «Häuslichkeit», ein Mythos, der vom Wohnen als Kultur souveräner Individualität erzählt – und leicht ins weltleere Verhocken kippt. Ich weiss, wovon ich rede. Ich wohne auch in einem Haus, mit Garten. Ist richtig schön hier. Im Alter dann sowieso. Da schrumpft unser Radius aufs häusliche Leben. Die Wohnung wird zur zweiten Haut, von der wir uns kaum lösen können – und schon gar nicht wollen. Lieber zapfen wir alle externen Services an, Spitex am Morgen (zum Anziehen, zur Pflege), «Kontaktphon» am Vormittag (für Telefonanruf), Casa Gusto am Mittag (fürs Essen), Seniorenservice am Nachmittag (zum Aufräumen), Spitex am Abend (Ausziehen, Pillen sortieren). Alles unter dem ironiefreien Motto «autonom daheim». Der Wunsch, «bei sich» zu bleiben, solange es irgend geht, schlägt jeden Realitätssinn.

Effizienter ist keine Einsamkeitsfalle. Eine Folge der kleinbürgerlichen Wohn-Ideologie. Alternativen? Früher ins Altersheim? Gibt es denn überhaupt noch Altersheime? Oder nur Pflegeheime? Zauberwort Alters-WG? Ja, ja, ja! Bloss – wo? Schlimmer: mit wem? Vor allem: Wie geht Zusammenwohnen?

Seid ihr Jungen schlauer unterwegs?

Ludwig

Weitere Episoden dieser Kolumne finden Sie hier: