In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche erklärt Hasler, weshalb ein temporärer Rückfall in alte Geschlechterrollen keine Tragödie ist.
Liebe Samantha
Ich verstehe: Fragen, die dir grad keinen Spass machen (Wo bleibt die alte weisse Frau? Wie hantiert Woke mit Wissenschaft?), lässt du abgleiten. Da kann man nichts machen. Nicht einmal mit einem dieser Sprichwörter, denen du dich lieber zuwendest. Oder soll ich «die Flinte ins Korn werfen»?
Es wäre komplett bescheuert. Sprichworte riechen meist abgestanden, nach einer Welt, die scheinbar noch in Ordnung war. Wie dein Titelspruch «Die Axt im Haus erspart den Zimmermann» von letzter Woche. Schiller, Wilhelm Tell. «Selfmade» heisst das heute, boomt grad momentan, alles selber machen, aus eigener Kraft. Klar, die Axt im Haus erspart allerlei, auch den Auftragskiller. Tell macht es vor, erledigt zum Schluss alles eigenhändig, Gessler inklusive. Bravo. Als Lebensweisheit taugt es heute trotzdem nicht. Zu holzschnittartig, zu biedermeierlich, zu ironiefrei. Fast so, wie du den alten weissen Mann gern besprichst.
Mich interessieren nicht die Sprüche von vorgestern, eher die realen Überbleibsel. Aktuell: der Mann am Grill. Hier überlebt die alte Ordnung der Geschlechter. Erst in sieben von hundert Grillpartys steht die Frau am Rost. Sonst rüstet sie Gemüse und Salat. Fachmann für die Glut ist der Mann, das Feuer ist sein Element, die Grillzange sein Werkzeug.
Egal wie die Partnerschaft im normalen Leben funktioniert, gleichberechtigt oder frauendominiert, beim Grillieren rutschen die Geschlechterrollen zurück. Soziologen wie Sache Szabo raten, diesen spielerischen Rückfall als therapeutische Entlastung anzunehmen. Der Mann als Familienchef und potenter Ernährer, dieses verblichene Bild, meint Szabo, stecke noch so tief in den genetischen Erinnerungen, dass manche Männer mit ihrer neuen Situation leichter fertig werden, wenn sie ihre alte Rolle zwischendurch symbolisch aufleben lassen dürfen.
Der Grill biete sich dafür prima an: Wer über das Feuer wache, verteile das Essen; und wer das Essen verteile, habe die Hosen an. Das Glück des Mannes am Grill käme demnach aus der Lizenz, für einen Moment ins alte Männerprofil zu schlüpfen, wie Kultur- und Naturgeschichte es geprägt haben: als Vorsorger und Sippenboss. Gerade weil es nur ein Spiel ist, will es mit totalem Ernst inszeniert sein.
Sind Männer deiner Generation anders?
In die Steinzeit müssen wir nicht zurück. Am Grill blüht – Digitalisierung hin oder her – der alte analoge Homo mechanicus auf. Informatiker frage ich manchmal: Wo seid ihr glücklicher – am Display oder am Grill? Die Antwort: Hey, am Grill bin ich wieder ganz Mensch, hier schalte und walte ich, die Welt ist übersichtlich, ich bin ihr Hauptakteur, ich habe sie im Griff, ohne mich läuft nichts, ich bin mal wieder jemand.
Muss das männlich sein?
Ludwig
Hinweis: Jung & Alt gibt es jetzt auch als Buch. Verlag Rüffer & Rub.