Klimabericht
UN-Generalsekretär zum Klimawandel: «Verzögerung bedeutet Tod»

Gestern ist der zweite Teil des neuen Weltklimaberichts erschienen. Er macht klar: Die Erwärmung gefährdet unser aller Gesundheit. Auch in Europa. Und nicht erst in Jahren sondern schon jetzt.

Niklaus Salzmann
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Sieht aus wie eine Wüste, ist aber mitten in Europa. Hier ein ausgetrockneter Boden in der Toskana. Schlechte Ernten sind die Folgen.

Sieht aus wie eine Wüste, ist aber mitten in Europa. Hier ein ausgetrockneter Boden in der Toskana. Schlechte Ernten sind die Folgen.

Tim Graham / Getty Images Europe

Die Klimaerwärmung führt zu Todesfällen und Krankheiten aufgrund von Hitzestress. Das ist eines der Schlüsselrisiken für Europa – so schreiben es die Autoren und Autoren im gestern publizierten zweiten Teil des sechsten Berichts des Weltklimarats IPCC. Einerseits führen Hitzewellen direkt zu Todesfällen, zum Beispiel via Herz-Kreislauf-Probleme. Doch das sind bei weitem nicht die einzigen Gesundheitsrisiken, die mit der Erwärmung zunehmen. Guéladio Cissé, Professor am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut und Mitautor des IPCC-Berichts, zählte gegenüber den Medien eine Reihe weiterer Probleme auf.

So werden Krankheiten häufiger, die über Zecken oder Mücken übertragen werden. Das betrifft auch die Schweiz. Die Tigermücke etwa, welche gefährliche Erreger wie Dengue übertragen kann, muss im Tessin bereits aufwendig bekämpft werden. In den letzten Jahren konnte sie sich auch nördlich der Alpen verbreiten, unter anderem in der Region Basel.

Nahrungsengpässe betreffen auch die Schweiz

Christian Huggel, Universität Zürich.

Christian Huggel, Universität Zürich.

Auch in der Landwirtschaft werden die Probleme wegen Hitze und Trockenheit zunehmen. Zwar ist in Nordeuropa durch die wärmeren Temperaturen mit höheren Erträgen zu rechnen, aber die Ertragsausfälle im Süden sind grösser. Das könnten auch Menschen in der Schweiz zu spüren kriegen. Christian Huggel, Geographieprofessor an der Universität Zürich und Co-Autor des IPCC-Berichts, betonte gegenüber den Medien, wie stark die Versorgung über Grenzen hinweg verknüpft ist. «Die Schweiz ist keine Insel», sagte er.

Wie schlimm die Folgen des Klimawandels sind, hängt stark davon ab, ob es gelingt, die Erwärmung zu bremsen. Die Erde ist bereits 1,1 Grad wärmer als vor der industriellen Revolution. Schaffen wir es, diesen Anstieg auf 1,5 Grad zu beschränken, wie es fast alle Staaten gemäss den Pariser Klimazielen anstreben? Aktuell sind wir nicht auf Kurs. UN-Generalsekretär Antonio Guterres wählte in einer Videobotschaft deutliche Worte:

«Fast die Hälfte der Menschheit lebt in der Gefahrenzone - jetzt.»

Das Versagen der Staatenführung sei «kriminell».

Anpassungen sind wirksam, aber begrenzt

Teilweise ist es möglich, sich an den Klimawandel anzupassen – so eine etwas optimistischere Aussage des Berichts. Zum Beispiel tragen begrünte Dächer in Städten zur Abkühlung bei und wirken bei extremen Niederschlägen ausgleichend, weil sie Wasser speichern. Aber wenn die Erwärmung mehr als 2 Grad beträgt, reicht die Wirkung solcher Anpassungen oft nicht mehr aus.

So wird sich die Zahl der Todesfälle und der durch Hitzestress gefährdeten Menschen in Europa verdoppeln bis verdreifachen, wenn sich das Klima um 3 statt 1,5 Grad erwärmt. Auch extreme Niederschläge und Überschwemmungen von Flüssen könnten doppelt so viele Menschen betreffen. Hinzu kommen wirtschaftliche Folgen: Im Mittelmeerraum, aber auch in anderen Teilen Europas, könnte die Leistung der Wasserkraftwerke bei 3 Grad Erwärmung um bis zu 40 Prozent sinken – bei 1,5 Grad sind es nur 5 Prozent Leistungsverlust.

Mehr als drei Milliarden hochverletzliche Menschen

Inger Andersen, Direktorin des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP).

Inger Andersen, Direktorin des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP).

Am stärksten ist aber nicht Europa betroffen. Vielmehr sind es einkommensschwache Länder. «Das ist Klimaungerechtigkeit», sagte Inger Andersen, Direktorin des Umweltprogramms der Vereinten Nationen.

«Wir sind in einer Notlage und steuern auf eine Katastrophe zu.»

3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen sind laut dem Bericht hochverletzlich gegenüber dem Klimawandel. Auch Tiere und Pflanzen sind betroffen, was sich wiederum auf Menschen auswirkt – so gibt es Grundnahrungsmittel, die in gewissen Regionen nicht mehr wachsen werden, wenn es zu warm ist. Das kann indirekt zu Armut und Hunger führen.

Um solche verheerenden Folgen zu lindern, muss jetzt gehandelt werden, so ein Fazit des Berichts. Oder in den Worten von UN-Generalsekretär Antonio Guterres:

«Verzögerung bedeutet Tod.»

Was es demnach braucht, sind einerseits Investitionen in die Anpassungen an den Klimawandel. Auf der anderen Seite müssen die Treibhausgase massiv reduziert werden. Die Verluste und Schäden komplett zu verhindern ist laut dem Bericht nicht mehr möglich. Aber wenn es gelinge, die globale Erwärmung auf rund 1,5 Grad zu beschränken, würden sie zumindest substanziell verringert.

Die Klimaberichte, die alle paar Jahre vom Weltklimarat IPCC veröffentlicht werden, sind wissenschaftlich ausserordentlich breit abgestützt. Am nun publizierten zweiten Teil des sechsten Berichts haben 270 Autorinnen und Autoren aus 67 Ländern mitgearbeitet. Sie haben 34000 wissenschaftliche Publikationen berücksichtigt.