«Jung & Alt»-Kolumne
Überraschende Zeitreise

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche hüpft Zaugg auf dem Zeitstrahl.

Samantha Zaugg
Samantha Zaugg
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Falsche Vorstellung: Laut neueren Erkenntnissen waren die Wikinger gar nicht nur die brutalen behaarten Männer - auch Frauen wurden im Norden als Kriegerinnen gefeiert.

Falsche Vorstellung: Laut neueren Erkenntnissen waren die Wikinger gar nicht nur die brutalen behaarten Männer - auch Frauen wurden im Norden als Kriegerinnen gefeiert.

Keystone

Lieber Ludwig

Find ich etwas arg pauschalisiert, was du beschriebst. Dass kleine Mädchen per se anders sind als kleine Buben, Frauen besser mit kreativer Arbeit als Männer. Weil ihre Gehirne anders sind. Ich bin immer skeptisch, wenn man bestimmte Eigenschaften, vermeintliche Geschlechterunterschiede mit Naturwissenschaft erklären will.

Weil es den rein wissenschaftlichen Blick nämlich gar nicht gibt. Das blenden wir oft aus. Doch die Wissenschaft gibt es nicht ohne die Kultur. Und wir können uns nicht von kulturellen Rahmenbedingungen entkoppeln. Deshalb hat auch die Wissenschaft immer eine getönte Brille auf, weil die Forschenden ja auch in einem kulturellen Umfeld sozialisiert wurden.

Tönt jetzt sehr theoretisch. Ich will ein Beispiel machen. Und dazu etwas tun, was sonst vor allem alte Menschen machen. Eine Geschichte von früher erzählen. Und zwar von ganz früher. Eine Geschichte von vor tausend Jahren.

Damals lebten im Norden Europas verschiedene Stämme und Völker, die Wikinger. Diese Wikinger waren recht wilde Zeitgenossen. Krieger, Seefahrer, Eroberer und so weiter. Obacht, wir machen jetzt einen Zeitsprung. Ein paar hundert Jahre nach vorn. Anfang 20. Jahrhundert haben Archäologen begonnen diese Völker zu erforschen, haben ihre Grabstätten untersucht.

Die waren teilweise mit aufwendigen Grabbeigaben ausgestattet. Geld, Waffen, Rüstung, ja sogar Streitwagen und Pferde. An manchen Skeletten fand man auch Kampfverletzungen. Ohne Zweifel, das waren die Kriegsherren, Häuptlinge, Anführer, Kämpfer. So hat man das damals eingeordnet.

Dann auf dem Zeitstrahl wieder ein paar Jahrzehnte nach vorne. Vor ein paar Jahren untersuchten Forschende ein solches Kriegerskelett mit DNA-Analyse. Und staunten wohl nicht schlecht, als sie die Ergebnisse sahen. Der vermeintliche Krieger – es war eine Frau.

Worauf ich hinaus will: Ich glaube, es gibt verschiedene Setzungen, die wir als Gesellschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten überholen müssen.

Das Gleiche passiert auch auf der individuellen Ebene. Ich selbst ­musste schon feststellen, dass manche Dinge einfach anders sind, als ich gedacht habe. Ich finde solche Erkenntnisse ja einigermassen anstrengend.

Du lebst ja schon etwas länger als ich. Ist dir das schon öfter passiert? Dass du gemerkt hast, dass du bestimmte Standpunkte revidieren musst? Und wenn ja, lässt du es auch zu?

Samantha

Hinweis: Jung & Alt gibt es jetzt auch als Buch. Verlag Rüffer & Rub.

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